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Europa-Handbuch - Europa-Handbuch

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Titel: Europa-Handbuch - Europa-Handbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Weidenfeld
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Föderalparlament.
Der Föderalstaat ist weiterhin unter anderem für Auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung, Rechtswesen, Finanzwesen, soziale Sicherheit sowie einen wichtigen Anteil der Innenpolitik und des Gesundheitswesens zuständig. Die Gemeinschaften und Regionen sind befugt, Beziehungen mit dem Ausland im Rahmen der ihnen zuerkannten Befugnisse aufzunehmen. Bei der letzten Staatsreform 2001 (Lambermont-Abkommen) erhielten die Regionen die Zuständigkeit für die Landwirtschafts- und Verkehrspolitik, die Entwicklungshilfe sowie die Aufsicht über die Gemeinden und Provinzen. Unterhalb der Ebene der Regionen ist das Land in zehn Provinzen und 589 Gemeinden unterteilt.
    Die politische Kultur Belgiens zeichnete sich seit mehr als einem Jahrhundert durch die Existenz dreier großer »politischer Familien« aus: Katholiken, Sozialisten und Liberale. Bereits wenige Jahre nach der Gründung des belgischen Nationalstaates entwickelte sich ein fundamentaler Gegensatz zwischen katholischer Kirche und liberalem Staat, der den Unionismus, die Zusammenarbeit beider Kräfte in der Phase der Staatsgründung seit 1828 ablöste und zur ersten bestimmenden Konfliktlinie in der politischen Kultur Belgiens wurde. Die zweite große Konfliktlinie ergab sich aus den Folgen der industriellen Revolution und ihren sozioökonomischen Auswirkungen. Das seit Mitte des 19. Jahrhunderts in den Kohle- und Stahlrevieren Walloniens entstehende Industrieproletariat stand einem durch die Industrialisierung immer reicher werdenden Bürgertum gegenüber. Der Gegensatz zwischen reicheren und ärmeren Bevölkerungsgruppen führte zur Herausbildung der dritten politischen Familie, der sozialistischen Arbeiterbewegung. Die drei traditionellen politischen Konfliktlinien bestimmten das politische Leben in Belgien bis in die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Die Auseinandersetzung zwischen den niederländischsprachigen Flamen und den frankophonen Wallonen wurde zwar schon länger geführt, erhielt aber mit der Entschärfung der traditionellen Konfliktlinien in den Sechzigerjahren eine neue Qualität, was letztlich die Auflösung des tradierten Parteiensystems nach sich zog.
1.2 Belgien und die europäische Integration
    Nachdem die Neutralitätspolitik wie auch die Bündnispolitik Belgiens im 20. Jahrhundert nicht die erhoffte Sicherheit gebracht hatten, gab Belgien nach dem Zweiten Weltkrieg die Neutralitätspolitik auf und ging Bündnisse ein. Neben dem Atlantischen Bündnis sollte die Mitgliedschaft in den europäischen Organisationen zum wichtigsten Feld der belgischen Außenpolitik
werden. Bereits noch während des Krieges wurde 1944 das Abkommen über die Benelux-Wirtschaftsunion geschlossen, die 1948 in Kraft trat. Belgien wurde Gründungsmitglied des Europarates (1949), der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, 1951) wie auch der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1957) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG, 1957). Belgien beharrte in den 1950er und der ersten Hälfte der 1960er Jahre in seiner Europapolitik immer auf die Teilnahme Großbritanniens am westeuropäischen Integrationsprozess, da es sich davon sowohl eine Verhinderung einer deutsch-französischen Dominanz als auch eine größere Rolle Westeuropas in der Weltpolitik versprach.
    Nachdem die Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1954 gescheitert war, gingen die Initiativen für den weiteren europäischen Integrationsprozess seit 1955 insbesondere vom belgischen Außenminister Paul Henri Spaak aus, die schließlich 1957 zu den Römischen Verträgen führten. Als Anfang der 1960er Jahre der französische Staatspräsident Charles de Gaulle neue europapolitische Vorstellungen einbrachte, die auf einen Abbau der bis zu diesem Zeitpunkt erreichten Integration zielten und den Nationalstaaten größere Kompetenzen zuweisen sollten, fand er in den Regierungsvertretern Belgiens und der Niederlande die schärfsten Widersacher. Spaak verfolgte noch in den frühen 1960er Jahren das Konzept der supranationalen Integration, musste jedoch zunehmend erkennen, dass die Vorstellungen eines Europas der Vaterländer im Sinne de Gaulles und des supranationalen Europas zu weit auseinander lagen, als dass sie kompromissfähig gewesen wären. Schließlich ging auch Belgien Mitte der 1960er Jahre vom supranationalen Konzept der Europapolitik ab und schlug seinen Partnern in der Gemeinschaft verstärkte Zusammenarbeit auf intergouvernementaler Ebene vor. Kontinuität

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