Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
für die dänische
Regierung auf dem Europäischen Ratstreffen in Nizza gerechnet. Es zeigte sich jedoch schnell, dass die Regierung sehr wohl den gefährlichsten Klippen ausweichen konnte. Da Dänemark bei den heiklen Themen nicht alleine stand, konnte es sich im Windschatten anderer Länder halten und diesen die Verhandlungen überlassen. Folglich konnte die Regierung zufrieden aus Nizza heimkehren. Einerseits hatte der Vertrag von Nizza noch ungelöste institutionelle Probleme aus dem Weg geräumt und so die Institutionen der EU für die Erweiterung vorbereitet. Der damalige Premierminister Poul Nyrup Rasmussen ging sogar so weit, den Vertrag von Nizza als »den Erweiterungsvertrag« zu bezeichnen.
Andererseits waren die tatsächlich vereinbarten Reformen relativ bescheiden, sodass sie der Regierung im dänischen Parlament und in der Öffentlichkeit keine Probleme bereiteten: Dänemark verfügt weiterhin über einen Kommissar, und die Einführung einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung über Steuern und Soziales wurde vermieden. Das Ergebnis bedeutete außerdem, dass die Regierung von Rechts wegen nicht verpflichtet ist, ein Referendum abzuhalten. Der Nizza-Vertrag wurde vom dänischen Parlament am 1. Juni 2001 ratifiziert.
Im Unterschied etwa zu den Benelux-Ländern oder Finnland wurden die Ergebnisse des Nizza-Gipfels in Dänemark nicht als mögliche Gefahr für die Effizienz einer erweiterten Union interpretiert. Der Premierminister betrachtete sie sogar als eher positive Entwicklung: »Eine Entscheidungsfindung wird zwar schwieriger, was jedoch auch notwendig ist, um einen stärkeren demokratischen Rückhalt in einer erweiterten Union zu sichern«. 6 Ebenfalls im Unterschied zu anderen kleineren Ländern lenkte die Regierung die Aufmerksamkeit nicht auf die künftige (geschwächte) Rolle der Kommission.
Die Standpunkte der übrigen politischen Parteien und Bewegungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Liberale Partei, die Zentrumsdemokraten und die Konservative Partei teilten im Allgemeinen die Ansicht der Regierung – wenn auch die Liberalen den geringen Fortschritt bei der Frage qualifizierter Mehrheitsentscheidungen bedauerten. Die Christliche Volkspartei und die Sozialistische Volkspartei (die beide gegen den Euro gestimmt hatten) befürworteten einhellig diesen »Erweiterungsvertrag«; sie plädierten jedoch für ein nationales Referendum. Im Parlament stimmten die Einheitliche Liste, die Dänische Volkspartei und die Gruppe Freiheit 2000 gegen den Vertrag; beide außerparlamentarische Bewegungen, die Juni-Bewegung und die Volksbewegung gegen die Europäische Union (Folkebevægelsen mod EF-Unionen) opponierten ihrerseits.
3. Dänische Europapolitik im Rahmen der Verfassungsdebatte: Business as usual schwierig
Das wirtschaftliche Interesse bleibt auch weiterhin ein Hauptargument für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, doch infolge von Ausmaß und Tempo des Integrationsprozesses und der EU-Agenda ist die dänische EU-Politik selbst umfassender und komplexer geworden. Der politische Balanceakt wird komplizierter durch die Tatsache, dass zwar eine Loslösung von der Europäischen Union als solche weder für die liberal-konservative Regierung noch für die sozialdemokratisch-sozialliberale Opposition in Betracht kommt, beide aber von den EU-skeptischen Parteien abhängig sind.
Trotz allgemeiner Akzeptanz der Europa-Idee und günstiger Umfrageergebnisse zwischen dem Euro-Referendum und den Verhandlungen in Nizza, wonach 33 Prozent der dänischen Bevölkerung sich gleichermaßen als Europäer wie als Dänen betrachten, bleibt diese extrem gespalten, wenn es um die weitere Integration in Europa geht. Wie die Abfolge der Volksentscheide veranschaulicht, ist diese skeptische Grundhaltung (und die Fähigkeit der politischen Eliten, damit umzugehen) ein entscheidender Faktor in der dänischen EU-Politik und setzt gleichzeitig allen aktiven Gestaltungsbestrebungen oder gar dem Versuch, die bestehende dänische Europapolitik zu verändern, enge Grenzen.
Wenn Dänemark der Spagat zwischen seinen politischen Zielen und seiner tatsächlichen EU-Politik – ein Problem, das vor allem in der EU-Debatte innerhalb des Landes gelöst werden muss – nicht gelingt, kann man sich zunehmend schwerer vorstellen, wie dieser Mitgliedstaat einen konstruktiven Beitrag zur EU-Politik leisten soll, ganz zu schweigen von der noch ehrgeizigeren Vorstellung, Dänemark könne die Agenda in Kernbereichen der
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