Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
dennoch Unbehagen hervor. Obwohl sich sowohl die von einer liberal-konservativen Minderheit gebildete Koalitionsregierung als auch die sozialdemokratisch-sozialliberale Opposition für die europäische Integration aussprechen und der Europapolitik ihres Landes einen hohen Stellenwert einräumen, ist ihr politischer Spielraum durch das Zusammenwirken zweier Faktoren doch gravierend eingeschränkt: Zum einen steht insbesondere die sozialdemokratische Wählerschaft der Integration relativ skeptisch gegenüber, zum anderen werden in Dänemark Referenden über eine Vielzahl wichtiger EU-Entscheidungen abgehalten. 3
So hat es seit 1972 in Dänemark sechs Volksentscheide über Europathemen gegeben: über den Beitritt (1972), die Einheitliche Europäische Akte (1986), den Vertrag von Maastricht (1992), der Beschluss von Edinburgh (1993), den Amsterdamer Vertrag (1998) und die Einführung des Euro (2000). Zwei davon – zum Vertrag von Maastricht und zum Euro – wurden abgelehnt. Für den unterschiedlichen Ausgang der Referenden lassen sich verschiedene Gründe aufführen. Am wichtigsten erscheinen jedoch das immer wiederkehrende Thema Souveränität und die Implikationen einer Übertragung von Souveränität auf die europäische Ebene.
Trotz des klaren und deutlichen Wortlautes der Verträge und aufgrund der in den 1970er Jahren schwachen Integrationsdynamik war die politische Integration für Politik und Öffentlichkeit kein vorrangiges Thema, als sich Dänemark zum Beitritt entschloss. Noch weniger erwartet waren die späteren Entwicklungen und eigentlichen Initiativen während der 1980er Jahre, welche schließlich zum Vertrag von Maastricht und zur offiziellen Eingliederung der EG in den Dachverbund EU führten. Folglich betrachteten Dänemark und eine Mehrheit seiner Bürger zunächst die europäische Wirtschaftsintegration als Selbstzweck; die Mitgliedschaft war in erster Linie ökonomisch motiviert. Die Debatte, die zur Ratifizierung der Einheitlichen
Europäischen Akte führte, spiegelte diese Wahrnehmung wider. Nach Abschluss der Verhandlungen ging der konservative damalige Premierminister Poul Schlüter sogar so weit, im Hinblick auf die Pläne zur Schaffung einer Europäischen Union öffentlich zu erklären: »Die Union ist mausetot!«
Rückblickend ist es nun leicht, diesen Ausspruch als fatale Fehleinschätzung der politischen Ereignisse in den Jahren 1987 bis 1992 darzustellen wichtiger für die spätere Mitgliedschaftsdebatte im Inland war, dass er dem zwar etwas übertriebenen, doch keineswegs völlig grundlos existierenden Mythos vom Unwillen der pro-europäischen Politiker, dem Volk die ganze Wahrheit über das Projekt der europäischen Integration zu sagen, zusätzliche Nahrung gab. Die Vorstellung vom Mitgliedstaat, der Souveränität an die Gemeinschaft überträgt und immer weitere Politikbereiche vergemeinschaftet, wird in der Öffentlichkeit oft als Konzept der Konkurrenz statt Koexistenz dargestellt, was den Kampf um Akzeptanz weiterer Integrationsschritte zur Sisyphusarbeit macht.
Das Nein zum Vertrag von Maastricht und die ablehnende Haltung zur Übertragung von Souveränität kann nur vor diesem Hintergrund von Misstrauen gegenüber einer Dreiecksbeziehung interpretiert werden, in welcher die Regierung die öffentliche Meinung einerseits und einen sehr dynamischen Integrationsprozess andererseits im Gleichgewicht halten muss. 4 Gelungen war ihr das in den Referenden über den Beschluss von Edinburgh sowie den Amsterdamer Vertrag, doch in beiden Fällen nur mit relativ dünner Mehrheit. 5 Um die weit verbreitete Skepsis im Zaum zu halten, hielt es die Regierung zudem für nötig, der Wählerschaft zu versprechen, das Tempo der Integration werde sich verlangsamen, und es handle sich deshalb für absehbare Zeit um das letzte Referendum.
Der Einfluss der dänischen Ausnahmeregelungen auf die Europapolitik der Regierung kann kaum überschätzt werden; das von außen oftmals schizophren erscheinende Verhalten der dänischen Regierung – nämlich der Versuch, aus einigen Schlüsselbereichen der europäischen Politik auszusteigen, jedoch zeitgleich eine Vorreiterrolle in anderen Politikfeldern einnehmen zu wollen – ist in Wirklichkeit der Versuch, Alternativen für die Diskussion und Gestaltung der dänischen Europapolitik zu finden.
2. Dänemark und der Vertrag von Nizza
Wegen des negativen Ausganges des Euro-Referendums am 28. September 2000 wurde sowohl im In- und Ausland mit Schwierigkeiten
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