Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Jacques Chirac im ersten Wahlgang nur 19,88 Prozent erhielt. Rang zwei belegte Jean-Marie Le Pen von der Front National mit 16,86 Prozent; dritter wurde der Sozialist Lionel Jospin mit 16,18 Prozent. In die zweite Runde kommen nur die beiden Kandidaten, welche die besten Ergebnisse vorweisen, so dass der sozialistische Regierungschef Lionel Jospin ausschied. Daraufhin bildete sich eine breite Front gegen Le Pen, der im zweiten Wahlgang immerhin noch 17,79 Prozent der gültigen Stimmen auf sich vereinigen konnte. Für Jacques Chirac war das gute Ergebnis von 82,21 Prozent der Stimmen nach dem niedrigen Ergebnis des ersten Wahlganges überraschend. Im Herbst 2000 war die Amtszeit des Staatspräsidenten von sieben auf fünf Jahre verringert worden.
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 9. und am 16. Juni 2002 gewann das Chirac-Lager (UMP, UDF und DL: 43,9 Prozent) mit der relativen Mehrheit der Stimmen eine starke absolute Mehrheit der Sitze. Die Sozialisten konnten einen leichten Stimmenzuwachs verzeichnen (23 Prozent). Die Kommunisten fielen auf einen historischen Tiefstand von 5 Prozent und die Grünen mussten sich mit 4,8 Prozent begnügen. Le Pen konnte im zweiten Wahlgang keinen Kandidaten durchsetzen.
Das konservativ-liberale Wahlbündnis ( Union Pour la Majorité, UMP), das Jacques Chirac in den Wahlen 2002 unterstützt hatte, verwandelte sich am 17. November 2002 in eine Union pour un Mouvement Populaire . Diese UMP besteht aus der RPR Jacques Chiracs, aus Teilen der liberalen UDF und aus der kleinen konservativ-liberalen Droite Liberale. Ein Teil der UDF um François Bayrou ist unabhängig geblieben.
1.2 Sozialer und wirtschaftlicher Wandel
Nach 1945 zählte Frankreich 45 Millionen Einwohner. Im Jahre 2003 waren es 60 Millionen, darunter 3,6 Millionen Ausländer (etwa 6,5 Prozent). Die Einwohnerzahl umfasst auch die 1,5 Million Bürger aus den verschiedenen Übersee-Départements und -gebieten. Die Konzentration der Ausländer in bestimmten Regionen schafft soziale Probleme. Mit 109 Einwohnern pro Quadratkilometer ist das Land dünn besiedelt, verglichen vor allem mit Deutschland (231) oder mit den Niederlanden (385), die eine Spitzenposition in der EU halten.
Frankreich war bis Anfang der 1950er Jahre eine Agrar- und Kolonialmacht, die sich wenig um die Weltmärkte kümmerte. Es hat sich schnell modernisiert und industrialisiert. Die technologischen Innovationen, die Öffnung nach außen, die Europäisierung der Wirtschaft, der Druck der internationalen Konkurrenz und die Zwänge der Globalisierung haben Wirtschaft und Gesellschaft tiefgreifend verändert. Heute zählt Frankreich zu den großen Wirtschaftsländern der Welt nach den USA, Deutschland und Japan, das Lebensniveau und die Einkommen sind im Vergleich zu vielen anderen Ländern relativ hoch. Der wirtschaftliche Strukturwandel nach 1945 hat einschneidende Veränderungen und einen hohen Anpassungsbedarf hervorgerufen. In den ersten 30 Jahren (1945 bis 1975) waren die Wachstumsraten hoch und die Arbeitslosigkeit unbedeutend. Seitdem haben sich die Relationen verändert: Die Wachstumsraten sind niedrig, und die Arbeitslosigkeit hat zehn bis elf Prozent erreicht. Die sozialen Probleme sind umso schwerwiegender geworden.
Das soziale Klima in Frankreich ist oft gespannt, weil das Land sich seit 1945 enorm, aber unregelmäßig verändert hat. Die seit den 1970er Jahren zunehmende Arbeitslosigkeit hat die sozialen Ungleichheiten verstärkt, der Anteil der in der Landwirtschaft arbeitenden Bevölkerung ist stark zurückgegangen, dafür hat der Dienstleistungssektor immens an Bedeutung gewonnen. Drei Viertel der Bevölkerung wohnen in den Städten, fast ein Fünftel lebt im Großraum Paris. Nach der Bevölkerungsexplosion von 1945 bis 1965 sind die Geburtenzahlen stark zurückgegangen. Familienplanung und die verstärkte Berufstätigkeit der Frauen erklären diese Entwicklung.
Die französischen Gewerkschaften sind zersplittert und ideologisch verfeindet, ihr Organisationsgrad (unter 10 Prozent) ist sehr schwach im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. Sie sind traditionell gegen das bestehende Gesellschaftssystem, lehnen Verhandlungen mit den Arbeitgebern ab und unterhalten ein schwieriges Verhältnis zur Regierung. Diese Elemente
und die sozialen Spannungen erklären, dass die französischen Gewerkschaften die direkte Form der Aktion – den Streik – bevorzugen, auch wenn die Zahl der sozialen Konflikte, der beteiligten Arbeitnehmer und
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