Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Schuman-Plan entwickelte drei einfache, aber wichtige Gedanken: Erstens erkannte er die Notwendigkeit einer deutsch-französischen Versöhnung und Zusammenarbeit an, die in einem begrenzten Bereich beginnen sollte. Zweitens sollten andere Länder Europas aufgefordert werden, sich dieser Zusammenarbeit anzuschließen. Drittens wollten die Mitgliedstaaten den neuen Weg der Integration und der Supranationalität gehen. So entstand auf der Grundlage des Vertrages vom 18. Mai 1951 die erste Europäische Gemeinschaft, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montan-Union), der von den sechs Kernländern – neben Deutschland und Frankreich waren dies Italien und die Benelux-Staaten – unterzeichnet wurde.
Der erste Präsident der Hohen Behörde der Montan-Union wurde Jean Monnet (1952 bis 1955). Der ehemalige stellvertretende Generalsekretär des Völkerbundes und Mitbegründer des französischen Befreiungskomitees in Algerien war von 1946 bis 1950 Leiter des Amtes für wirtschaftliche Planung (Commissaire au Plan) und in dieser Eigenschaft maßgeblich an der Ausarbeitung des großen Modernisierungsprogramms für die französische Wirtschaft beteiligt.
1.4 Die Auseinandersetzung um die EVG
Mit der Gründung der EGKS zeigte Frankreich, dass es bereit war, mit der Bundesrepublik Deutschland als gleichberechtigtem Partner in Europa zusammenzuarbeiten. Es war eine enorme Veränderung im Vergleich zu den Orientierungen der französischen Deutschlandpolitik unmittelbar nach dem Krieg. Die Diskussionen über die Sicherheitspolitik zeigten sehr schnell das Dilemma dieser neuen Haltung. In der Tradition der Bündnisse gegen Deutschland unterzeichneten General de Gaulle und Stalin am 10. Dezember 1944 in Moskau den französisch-sowjetischen Pakt und dann Großbritannien und Frankreich am 4. März 1947 den Vertrag von Dünkirchen. Deutschland wurde immer noch als potenzielle Gefahr behandelt, obwohl es besetzt und entmilitarisiert war. Der zunehmende Druck des Kalten Krieges änderte diese Sichtweise. Der Dünkirchen-Vertrag wurde am 17. März 1948 auf die Benelux-Staaten ausgeweitet (Brüsseler Vertrag über die Westunion); die deutsche Gefahr wurde allerdings nur in der Präambel erwähnt.
Der Ausbruch des Korea-Krieges am 25. Juni 1950 zeigte, dass die Sowjetunion für den Westen sehr gefährlich werden konnte, Berlin und Deutschland waren damals heiße Streitpunkte zwischen Ost und West. Die Frage nach einer verstärkten Sicherheit für Deutschland und eventuell nach einer deutschen Beteiligung stellte sich neu. Für Frankreich erschien die Remilitarisierung Deutschlands nur fünf Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges unvorstellbar, es suchte daher nach einem Ausweg. Der französische Premierminister Rene Pleven schlug daher die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) vor. So hätten die Westdeutschen Waffen und Soldaten bekommen, ohne eine deutsche Armee zu gründen. Der Vertrag über die EVG wurde am 27. Mai 1952 in Paris unterzeichnet. Zwei Jahre später, am 30. August 1954, lehnten die französischen Abgeordneten seine Ratifizierung ab. Das große Projekt für die militärische und politische Einigung Europas war gescheitert, und Europa hat sich von dieser Niederlage nur schwer erholt. Der Ersatz kam allerdings sehr
schnell. Nach Verhandlungen in London unterzeichnete man in Paris am 24. Oktober 1954 Verträge, die zur Gründung der Bundeswehr und ihrer Integration in die NATO führten. Die Westunion von 1948 wurde um die Bundesrepublik Deutschland und Italien erweitert und nannte sich Westeuropäische Union (WEU). Es war eigentlich ein kollektiver Beistandspakt im Rahmen der NATO. Die WEU kontrollierte außerdem die deutsche militärische Aufrüstung.
Da es für viele Jahre keine Aussichten mehr auf die politische und militärische Gemeinschaft gab, konzentrierten sich die Europäer auf die Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die mit der EGKS einen guten Anfang genommen hatte. Anfang 1955 fand die »relance européenne« in Messina (Italien) statt, die dann in die Römischen Verträge mündete. Bei der Ausarbeitung der Verträge und besonders bei der Gründung der EAG (für die friedliche Nutzung der Kernenergie und die Bildung und Entwicklung von Kernindustrien) spielte Frankreich eine wichtige Rolle.
1.5 De Gaulle – der Gegner der Supranationalität
Mit Präsident Charles de Gaulle kam eine Zeit voller Widersprüche. Er war bereit, die deutsch-französische
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