Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
ein, die eine ausgeglichene Machtverteilung zwischen den supranationalen Strukturen und den Mitgliedstaaten gewähren sollte.
Trotz vieler Befürchtungen über die Währungsunion haben sich die Franzosen ziemlich leicht vom Franc verabschiedet, der seit dem Jahr 1803 das Symbol für die Souveränität des Landes war. Am 17. Februar 2002 war die alte Währung komplett aus dem Verkehr gezogen. Der Euro hat sich schnell zu einem Garanten der wirtschaftlichen Stabilität entwickelt; der Außenhandel ist weniger von internationalen Währungsschwankungen abhängig. Wie zunächst Portugal und dann Deutschland hatte auch Frankreich seit dem Jahr 2002 Probleme, die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einzuhalten. Wegen der Konjunkturflaute und der von Jacques Chirac versprochenen Senkung der Einkommensteuer und der Abgaben konnte die Obergrenze für die Neuverschuldung (3 Prozent des BIP) nicht eingehalten werden. Die Europäische Kommission leitete ein informelles Defizitverfahren ein. Im Herbst 2003 beschlossen Frankreich und Deutschland mit der Unterstützung einiger Partnerstaaten, sich vom Zwang des Stabilitätspaktes zu befreien, um sobald wie möglich wieder unter die 3-Prozent-Grenze zu kommen. Dieses Ziel konnte weder für das Jahr 2004 noch für 2005 erreicht werden. Es wurde viel über eine Reform des Stabilitätspaktes diskutiert, damit die Schwankungen der Weltwirtschaft besser berücksichtigt werden können. Die »kleinen« EU-Staaten waren zu Recht darüber verärgert, dass die »großen« EU-Staaten sich in der Anwendung des Paktes Sonderrechte verliehen haben.
Nach einigen Jahren der Entfremdung haben Frankreich und Deutschland seit Ende des Jahres 2002 wieder demonstrativ ihre enge Zusammenarbeit demonstriert. Der Höhepunkt war ohne Zweifel die spektakuläre Feier des 40. Jahrestages des deutsch-französischen Vertrages am 22. Januar 2003 in Paris und Versailles und am 23. Januar in Berlin. Die gemeinsame Ablehnung der militärischen amerikanisch-britischen Intervention im Irak hat viel Zustimmung, aber auch eine starken Widerstand hervorgerufen. Frankreich war für eine Fortsetzung der Arbeit der UN-Inspektoren in Irak, um festzustellen, ob tatsächlich Massenvernichtungswaffen vorhanden waren. Die UNO allein sollte über einen militärischen Angriff gegen den Irak entscheiden. Frankreich hätte dann eine solche Entscheidung mitgetragen. Aus Sicht von Jacques Chirac war der formelle Kriegsbeginn der USA gegen den Irak am 20. März 2003 völkerrechtswidrig.
Ende 2002 hatten sich die Regierungen in Paris und Berlin überraschend über die Reform und die weitere Finanzierung der umstrittenen europäischen Agrarpolitik geeinigt. Darüber hinaus haben beide Länder dem Konvent für die Zukunft Europas gemeinsame Vorschläge unterbreitet. In Frankreich war man natürlich froh darüber, dass ein so erfahrener Politiker wie Valery Giscard d’Estaing den Vorsitz des Konvents übernommen hatte.
Die Ernennung beider damaliger Außenminister, Dominique de Villepin und Joschka Fischer, zu Konventsmitgliedern bekräftigte das deutsch-französische Engagement. Der Beitrag Frankreichs und Deutschlands zur Ausgestaltung der zukünftigen Institutionen kann positiv bewertet werden, obwohl nicht alle Vorschläge durchgesetzt werden konnten. Der Einfluss beider Länder auf die neuen Richtlinien der GASP sollte ganz besonders unterstrichen werden.
Jacques Chirac zeigte sich bei der Regierungskonferenz in Brüssel wenig verhandlungsbereit über die europäische Verfassung im Dezember 2003. Hat diese Haltung zum vorläufigen Scheitern der Konferenz beigetragen? Oder hatten sich Polen und Spanien in der Frage der doppelten Mehrheit bei Abstimmungen im Rat der Europäischen Union zu wenig kompromissbereit gezeigt? Das Scheitern von Brüssel hat auf jeden Fall die Ungewissheit in Frankreich über die Zukunft der Europäischen Union vergrößert. Was wird aus der deutsch-französischen Zusammenarbeit in einem größeren Europa? Wie effektiv kann sie sein und mit welchen neuen Partnern soll sie vertieft werden? Die verstärkte deutsch-französische Zusammenarbeit seit Ende 2002 hat die »kleinen« Staaten der EU und die Beitrittskandidaten insofern beunruhigt, als sie eine Art deutsch-französische Hegemonie fürchten. Die USA haben diese Angst bewusst geschürt, indem sie das »neue« gegen das »alte« Europa aufgebracht haben. Die scharfen Verbalattacken Jacques Chiracs gegen die osteuropäischen Staaten, die in
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