Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Modernisierung und Urbanisierung der Gesellschaft sind vorangeschritten, und Griechenland hat sich als Land der Peripherie mittlerweile fest in die Europäische Union integriert. Seit dem 1. Januar 2001 gehört Griechenland auch der Europäischen Währungsunion an.
1. Historische Entwicklung und politische Kultur
So wie in anderen Mittelmeerländern hat der Klientelismus auch in Griechenland starke Wurzeln. 1 Bemühte man sich um eine Baugenehmigung, eine Konzession, einen Kredit oder eine Arbeitsstelle für einen Familienangehörigen, dann wandte man sich an einen einflussreichen Politiker und nicht direkt an die Verwaltung. Abgeordnete setzten sich für die Erfüllung persönlicher Wünsche ein, um bei den nächsten Wahlen wieder gewählt zu werden. Für diese Art von politischem Handel hat sich in Griechenland der Begriff Rousfeti eingebürgert. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die Industrialisierung und die Urbanisierung den klassischen Klientelismus modifiziert haben: Mit der Entwicklung von Massenparteien, besonders seit dem Entstehen der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK) im Jahre 1974 wird der Klientelismus von den Parteien überlagert, sodass es in Griechenland heute angemessen erscheint, von »Partei-Klientelismus« zu sprechen. 2 Dabei müssen die Abgeordneten einen Teil ihrer Autonomie an die jeweiligen Parteiführer abgeben. Doch auch unter den geänderten Verhältnissen leben der Personalismus und der Wunsch nach charismatischen Parteiführern weiter. Personalistische Elemente äußern sich darin, dass Parteien, ihre Ideologien und ihre Politik ganz auf die Person des jeweiligen Parteiführers zugeschnitten sind. Parteien waren in einem Maße von
ihren Parteiführern dominiert, dass sie in der Regel mit deren Abtritt von der politischen Bühne aufhörten zu existieren. Angesichts dieser Tatsachen überraschte 1996 die Wahl des pragmatisch denkenden Konstantin Simitis zum Ministerpräsidenten, ebenso wie seine Wiederwahl im Jahr 2000.
2. Aktuelle Situation
2.1 Politisch-administratives System
Nach der Volkszählung von 1994 hat Griechenland 10,4 Millionen Einwohner. Die Bevölkerungsdichte ist mit 79 Einwohnern pro Quadratkilometer eher gering. Kleine Minderheiten wie die slawischen Makedonier, Türken, Albaner und Bulgaren machen nur einen geringen Prozentsatz der Bevölkerung aus. Die Balkankriege zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben die ethnische Homogenität durch Bevölkerungsaustausch gefördert. Minderheitenprobleme bestehen mit der muslimisch-türkischen Population in West-Thrakien und mit slawischen Bevölkerungsteilen, die sich selbst als »Makedonier« bezeichnen. Die orthodoxe Kirche nimmt als Staatskirche eine herausragende Rolle ein, die auch in der Verfassung verankert ist. 3
Seitdem in einer Volksabstimmung der Monarchie 1974 ein Ende bereitet wurde, ist Griechenland eine parlamentarische Republik mit einem Staatspräsidenten als Staatsoberhaupt und einem Ministerpräsidenten als Chef der Regierung. Administrativ ist das Land in zehn Regionen (Nomoi) aufgeteilt, die Mönchsrepublik Athos hat einen autonomen Status. Das Parlament setzt sich aus 300 Abgeordneten zusammen. Die Legislaturperiode beträgt vier Jahre. Der Staatspräsident nimmt unter den Verfassungsorganen die erste Stelle ein. Er wird vom Parlament mit Zweidrittelmehrheit auf fünf Jahre gewählt. Die Machtbefugnisse des Präsidenten waren nach 1974 weitreichend, sind aber bei der Verfassungsreform von 1985 unter dem Einfluss der PASOK deutlich beschnitten worden. Nunmehr kann er die Regierung entlassen und nach Artikel 44 und Artikel 48 Gesetze im Eil- oder Notfall erlassen. Das Recht zur Verfügung einer Volksabstimmung obliegt dem Präsidenten im Einvernehmen mit der Regierung.
Die Regierung besteht aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern, die zusammen den Ministerrat bilden. Die griechischen Regierungschefs haben von der Möglichkeit, neue Ministerien zu schaffen oder Kompetenzen neu festzulegen, regen Gebrauch gemacht. Damit wurden dichte Patronagebeziehungen aufgebaut. Kabinettsumbildungen haben insbesondere
unter Papandreou sehr häufig stattgefunden. Dabei mussten die verschiedenen Strömungen in seiner Partei angemessen berücksichtigt werden.
Die Verwaltung ist wegen ihrer geringen Produktivität und der hohen Betriebskosten als die »große Kranke des Systems« und als eine Anhäufung von Beamten bezeichnet worden, deren Berufung in den öffentlichen Dienst mehr der Protektion
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