Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
EU-Gipfel in Nizza konnte der durch Kompromisse bereinigte Bericht durch die Staats- und Regierungschefs verabschiedet werden. In dem Dokument zur Beitrittspartnerschaft wurde der Türkei darüber hinaus ein Reformkatalog vorgelegt, den das Land auf seinem Weg in die Europäische Union zu erfüllen hat. Mit Ankara wurde vereinbart, dass die türkische Regierung im Rahmen eines nationalen Programms zur Annahme des acquis communautaire einen Zeitplan für die Umsetzung der Ziele aus der Beitrittspartnerschaft erstellt. Dieses »Nationale Programm« wurde am 19. März 2001 vorgelegt. 4
Die eingangs genannten seither durchgeführten Reformmaßnahmen sind von der EU im Wesentlichen positiv aufgenommen worden. In ihrem Fortschrittsbericht 2003 5 bestätigte die Europäische Kommission die politischen Fortschritte, mahnte aber mit Blick auf den anstehenden Beitritt Zyperns Fortschritte bei der Lösung des Zypern-Problems an. 6 Die Regierung Erdodan reagierte positiv und ließ Anfang 2004 ihre Bereitschaft erkennen, Verhandlungen auf der Grundlage des von UNO-Generalsekretär Kofi Annan vorgelegten Planes für eine Lösung des Konflikts zuzustimmen.
3. Ausblick
Der zitierte erste Partnerschaftsbericht bestätigte, dass das Land von der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien noch weit entfernt war. Dies galt vor allem für die Einhaltung der Menschenrechte, den Stand der Demokratisierung und den Zustand der Wirtschaft – ihnen wurden schlechte Zeugnisse ausgestellt. Der Fortschrittsbericht 2003 war demgegenüber deutlich positiver. Auf dem Gipfel am 16./17. Dezember 2004 beschloss der Europäische
Rat schließlich die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die im Oktober 2005 begonnen wurden.
Problematisch ist die Zukunft im Bereich der Europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik (ESVP). Die in Nizza (9./10. Dezember 2000) von den Staats- und Regierungschefs der EU gebilligten Beschlüsse zur Aufstellung einer Schnellen Eingreiftruppe für Kriseneinsätze haben zu intensiven Beratungen zwischen NATO und EU geführt. Sie beziehen sich vor allem auf die Fälle, in denen bei einer von der EU geführten Operation auf Kapazitäten und Strukturen der NATO zurückgegriffen werden kann. Ankara hat versucht, über die hier anstehenden Entscheidungen gleichsam durch die Hintertür weiter an die EU heranzurücken. Die türkische Regierung verlangt eine umfassendere Beteiligung an den Entscheidungsprozessen bei Kriseneinsätzen, als die EU es Nicht-Mitgliedern zugestehen will. Unter Hinweis auf ihre exponierte Sicherheitslage und auf die Tatsache, dass sich potenzielle Einsätze einer Eingreiftruppe im politischen Umfeld der Türkei ereignen würden, verlangt die Türkei bei künftigen EU-Einsätzen weitreichende Mitwirkungsrechte. In jedem Fall will sie der EU den automatischen Zugang zu Instrumentarien der NATO, die für Ankara als Rahmen kollektiver Sicherheit weiterhin höchste Priorität genießt, verwehren.
Sollte in langfristiger Perspektive die Türkei ein Mitglied der EU werden, würde das Land einen Brückenkopf nicht nur europäischer wirtschaftlicher und politischer Interessen bedeuten; vielmehr könnte es auch ein Trumpf im Bemühen um die Projektion von Werten sein, auf denen eine internationale Ordnung im neuen Jahrtausend beruhen sollte – dies in der Nachbarschaft einer Region, die für die Verwirklichung von Demokratie und Menschenrechten nicht gerade berühmt ist.
Anmerkungen
1 Vgl. die Beitrittspartnerschaft mit der Türkei; http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/lvb/e40113.htm , Stand: Februar 2004.
2 Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Europäischer Rat (Helsinki), 10. und 11. Dezember 1999; http://europa.eu.int/council/off/conclu/dec99/dec99_de.htm ., Stand: Februar 2004.
3 Vgl. EU Commission: Turkish Accession Partnership, Brüssel, 8. November 2000.
4 Zur Zusammenfassung des »Nationalen Programms« siehe Turkish Daily News vom 20. März 2001.
5 Vgl. http://europa.eu.int/comm/enlargement/report_2003/pdf/rrtk_final_de.pdf , Stand: Februar 2004.
6 Vgl. Steinbach, Udo: Geschichte der Türkei, München 2003.
Weiterführende Literatur
AMMAN, BIRGIT: Helsinki – Kopenhagen – Diyarbakir. Der Annäherungsprozess der Türkei an die EU und die kurdische Frage, in: Kurdische Studien (Berlin) 2 (2002), S. 33-55. ☐ BOZDAGLIOGLU, YUCEL: Identity crisis and the struggle for recognition in Turkey, in: Journal of South Asian and Middle Eastern Studies 2 (2000), S. 18-36. ☐
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