Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Veränderungen im Vergleich zur Periode 1998 – 2002 klar zum Ausdruck gebracht. 1
Das Verfassungsgericht besitzt in Ungarn eine auch im internationalen Vergleich große Kompetenz. Es kann Gesetze außer Kraft setzen und hat dies in der Praxis auch schon mehrmals getan. Die ungarische Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Gerichte. Die Richter werden auf Vorschlag des Justizministers durch den Staatspräsidenten auf unbestimmte Zeit, aber für mindestens zwei Jahre, ernannt. Der Präsident des Obersten Gerichtes wird auf Vorschlag des Staatspräsidenten durch das Parlament ernannt, während die obersten Richter auf der Grundlage eines gemeinsamen Vorschlages des Justizministers und des Präsidenten des Obersten Gerichtes vom Staatspräsidenten ernannt werden. Die Richter dürfen keine politische Tätigkeit ausüben und keiner Partei angehören.
Im außenpolitischen Bereich wurden die wichtigsten Ziele erreicht: Ungarn ist im März 1999 der NATO beigetreten. Die Beitrittsverhandlungen mit der EU haben im März 1998 mit dem acquis screening begonnen und im November 1998 mit der Aufnahme konkreter Gespräche einen neuen Schub erhalten. Nach mehreren schwierigen Etappen, die zum größten Teil durch den Strategiemangel und die politische Unentschlossenheit der EU – und einiger ihrer Mitgliedstaaten – verursacht wurden, konnten die Beitrittsverhandlungen im Dezember 2002 in Kopenhagen abgeschlossen und die entsprechenden Beitrittsdokumente im April 2003 in Athen unterzeichnet werden. Dementsprechend ist Ungarn seit dem 1. Mai 2004 mit neun weiteren europäischen Ländern Mitglied der EU.
Die Beziehungen zu den Nachbarländern sind vertraglich geregelt. Die ungarische Minderheit in Rumänien und der Slowakischen Republik wurde zum Koalitionspartner der Regierungen, und ein ungarischer Politiker bekleidete den Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten in Serbien. Selbstverständlich gibt es noch ungelöste Probleme, wie die Unterschreibung des so genannten Status-Gesetzes mit allen Nachbarn, in denen ungarische Minderheiten leben, die Zukunft des Staudammes Gabcikovo-Nagymaros sowie populistisch-nationalistische Strömungen in allen Ländern der Region. Trotzdem kann man damit rechnen, dass die zunehmende regionale
Verflechtung und die Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft – und nicht zuletzt das gemeinsame Interesse aller Staaten, früher oder später Vollmitglied der Europäischen Union zu sein – ihren Beitrag zur zufrieden stellenden Lösung dieser Probleme leisten. Ein weiterer Beitrag in diese Richtung wäre das In-Kraft-Treten der EU-Verfassung, die den Schutz der Rechte von Minderheiten enthält.
2.2 Wirtschaftliche Situation und Aufgaben
Die Erfolge der Transformation haben die verschiedenen Akteure der ungarischen Wirtschaft und Gesellschaft unterschiedlich betroffen. Der Ausbauprozess der Marktwirtschaft war nicht frei von Unterbrechungen. Anfang der 1990er Jahre erfolgte ein beispielloser Rückgang des BIP und der wichtigsten Absatzmärkte. Sowohl das Realeinkommen breiter sozialer Schichten als auch die Investitionen wurden beeinträchtigt. Während aber die »Transformationsrezession« ungünstige makrowirtschaftliche Zahlen produzierte, setzte sich in der Mikrostruktur der Wirtschaft und teilweise auch der Gesellschaft ein einmaliger Wandel durch.
In den kritischsten Jahren stieg die Arbeitslosigkeit auf über 12 Prozent, zahlreiche Unternehmen wurden geschlossen, ganze Regionen blieben ohne Beschäftigungsmöglichkeit. Dauerhaft zweistellige Inflationsraten prägten diese Periode. Sowohl die qualitativen Weichenstellungen als auch die Konsequenzen einer verfehlten Wirtschaftspolitik in den Jahren 1993 und 1994 haben den harten Konsolidierungskurs der Regierung Horn unvermeidlich gemacht. Nach einem wiederholten Einbruch des Wachstums und des Realeinkommens konnte man jedoch der ungarischen Wirtschaft in zwei Jahren nicht nur auf die Beine helfen, sondern einen nachhaltigen Wachstumspfad einschlagen. Diese »angenehme« wirtschaftliche Situation, die die FIDESZ-geleitete Koalition 1998 geerbt hatte, wurde jedoch nicht zu weiteren und tief greifenden Reformen genutzt. Wirtschaftspolitische Fehler und die ungünstige europäische Konjunktur haben das Wachstum gebremst und die zuvor geschaffenen Wettbewerbsvorteile teilweise relativiert. Trotzdem sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche EU-Mitgliedschaft weiterhin vorhanden.
Dank der graduellen
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