Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Vorbereitung auf die Marktwirtschaft seit den 1960er Jahren, der nach 1989 getroffenen wirtschaftsstrategischen Weichenstellungen und der erfolgreichen Konsolidierung im Jahre 1995 befindet sich Ungarn gegenwärtig in der zweiten Phase des Transformationsprozesses, die man als umfangreiche wirtschaftliche Modernisierung beschreiben kann.
Gekennzeichnet ist diese Periode durch anhaltendes Wachstum, die Rückkehr zur export- und investitionsorientierten Wirtschaftspolitik, eine moderne und wettbewerbsfähige Produktions- und Exportstruktur mit klarer Spezialisierung auf zukunftsorientierte Produktgruppen sowie eine organische Eingliederung in das Produktions- und Verteilernetz multinationaler Unternehmer.
Eine Reihe von neuen technologieintensiven Industriezweigen hat sich in den letzten Jahren in Ungarn niedergelassen: Pkw-Herstellung, Computerindustrie, neue Zweige der Telekommunikation und der Elektronik. Der Anteil der Landwirtschaft ist immer noch höher als im EU-Durchschnitt, doch niedriger als in manchen EU-Ländern; er macht weniger als 5 Prozent des BIP und 8 Prozent der Beschäftigten aus. Ein weiterer Strukturwandel wird nur noch mit geringen Auswirkungen auf die Beschäftigung einhergehen.
Dieser auch im Vergleich zu anderen Transformationsländern einmalige Strukturwandel wurde durch die lange Vorbereitungsperiode vor 1989, die gewählte und marktgerechte Art der Privatisierung, den massiven Zufluss ausländischen Direktkapitals und die ungarischen Standortvorteile ermöglicht. Diese erfolgreiche Kombination wurde durch eine stabilitäts- und exportorientierte Wirtschaftspolitik sichergestellt.
Binnen eines Jahrzehntes fanden dramatische Veränderungen in den Eigentumsverhältnissen statt. Etwa 85 Prozent des BIP werden heute vom Privatsektor mit echten Eigentümern erwirtschaftet. Damit ist der Privatisierungsprozess praktisch abgeschlossen. Der Bestand des ausländischen Direktkapitals erreichte Ende 2002 mehr als 25 Milliarden US-Dollar – ohne Reinvestitionen, die nach vorsichtigen Schätzungen weitere 10 Milliarden US-Dollar ausmachen. Etwa die Hälfte dieser Summe war mit der Privatisierung verbunden. Inzwischen wird der Akzent von der Privatisierung eindeutig auf Grüne-Wiese-Investitionen verlegt. Ausländische Unternehmen haben bereits erhebliche Gewinne in Ungarn erzielt, sodass sich die Frage stellt, wie man die Eigentümer dazu bewegen kann, dass sie einen Großteil dieses Gewinnes in Ungarn oder in der mittelosteuropäischen Region, mit Drehscheibe Ungarn reinvestieren. Eine weitere Aufgabe bildet die Verstärkung des einheimischen Zulieferernetzes durch ungarische und in Ungarn tätige ausländische Klein- und Mittelbetriebe, die frühere Importe ersetzen und das Wachstumspotenzial der ungarischen Wirtschaft erhöhen können.
Ein wichtiger Wandel hat sich in der Beurteilung der ungarischen Standortqualität vollzogen. Immer mehr interessiert sich das ausländische Kapital für die gut oder sogar hoch ausgebildeten ungarischen Arbeitskräfte. Daraus
folgt eine doppelte Hausaufgabe: einerseits die Sicherung des kontinuierlichen Strukturwandels, andererseits die Deckung des rasch steigenden Bedarfes an qualifizierten Arbeitskräften durch eine strategisch orientierte Bildungspolitik.
Die institutionelle Liberalisierung der ungarischen Wirtschaft, die mit dem Beitritt zur OECD ihren bisherigen Höhepunkt erreichte, wurde durch eine strukturelle Liberalisierung begleitet, die in der Eingliederung in das internationale Produktionsnetz multinationaler Unternehmen zum Ausdruck kam. Im Außenhandel erfolgte eine rasche geographische Umorientierung von den östlichen auf die OECD-Märkte. Weiter wurde der geographische Richtungswechsel mit einem Zugewinn an Marktanteilen in den wichtigsten Auslandsmärkten Ungarns (EU, Deutschland, Österreich) verbunden.
Auch die Warenstruktur der Ausfuhr hat sich grundlegend geändert. Mehr als die Hälfte der Gesamtausfuhr (und 63 Prozent der Ausfuhr in die EU) besteht aus Maschinen, Investitionsgütern und Transportmitteln. Schließlich muss noch erwähnt werden, dass die Auslandsverschuldung Ungarns, die noch vor sechs Jahren eine erhebliche Belastung und ein großer Unsicherheitsfaktor war, bis 2001 stark abgebaut werden konnte.
Der durch die Stabilitätspolitik um die Mitte der 1990er Jahre abgefederte wirtschaftliche Entwicklungspfad wurde durch die FIDESZ-geführte Regierungskoalition zwischen 1998 und 2002 nicht genutzt, um neue Reformen (Verwaltung,
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