Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Voraussetzungen jeder der drei Garantiemächte ein Interventionsrecht zustand. 12 Der verbrecherische Putsch des Athener Diktators Dimitrios Ioannidis gegen den zypriotischen Präsidenten Makarios vom 15. Juli 1974 gab Ankara die willkommene Gelegenheit, unter dem Vorwand der Anwendung des Garantievertrages 37 Prozent des zypriotischen Territoriums (3 355 km 2 ) zu besetzen. Etwa 180 000 Griechischzyprioten verloren ihre Heimstätten. Mit der Besiedlung des besetzten Gebietes durch Festlandtürken kam es zur Änderung des demographischen Charakters der Insel.
Der durch die Invasion Ankaras vorangetriebene Sezessionismus erfuhr durch die einseitige Proklamation zunächst eines türkischen »Föderativstaates« (13. Februar 1975) und dann der nur von Ankara anerkannten »Türkischen Republik Nordzypern« (15. November 1983) eine bedenkliche Verschärfung. Die vom türkischzypriotischen Führer Rauf Denktasch vertretene Theorie von der Existenz zweier Völker wurde von der UNO wiederholt verurteilt.
2. Aktuelle Situation
Im türkisch besetzten Norden stehen jene Türkischzyprioten, die gegen den Separatismus Denktaschs eingestellt sind, unter Türkisierungsdruck. 13 Es besteht
eine Kluft zwischen dem von Ankara gestützten Regime und einem großen Teil der Bevölkerung. Im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt der Republik Zypern und dem Lösungsplan von UN-Generalsekretär Kofi Annan kam es 2002/2003 zu Massenprotesten mit den Losungen: »Dieses Land gehört uns« und »Wir sind das Volk«. Bei den im Okkupationsgebiet am 14. Dezember 2003 durchgeführten »Parlamentswahlen« spielte diese Auseinandersetzung eine bedeutende Rolle.
Die Republik Zypern mit dem 2003 für eine fünfjährige Amtsperiode gewählten Präsidenten Tassos Papadopoulos an der Spitze ist gemäß der in vielen Teilen noch geltenden Verfassung von 1960 eine Präsidialrepublik, während im besetzten Norden 1985 einseitig eine eigene »Verfassung« verabschiedet wurde. Im Abgeordnetenhaus findet vor allem ein Kampf zwischen den zwei größten Parteien, der AKEL und der rechtsgerichteten Demokratischen Sammlung ( Dimokratikos Synagermos , DISY) statt. Die übrigen politischen Kräfte sind zersplittert.
Das sozioökonomische Gefälle zwischen dem Süden und dem Norden ist groß. Der griechische Süden erlebte nach der Invasion Ankaras ein »Wirtschaftswunder«. 14 Das Pro-Kopf-Einkommen war in den 1990er Jahren mindestens viermal höher als in der »Türkischen Republik Nordzypern«. Gravierend sind auch die Unterschiede in den Zuwachsraten des Bruttoinlandsproduktes. Der Norden beklagt sich über eine hohe Inflationsrate, das Fehlen ausländischer Devisen und über Arbeitslosigkeit. Die Hauptursache dafür liegt in der sezessionistischen Abkapselung.
Die Beziehungen der Republik Zypern zu Brüssel sind durch folgende Meilensteine geprägt: Assoziierungsabkommen mit der EG vom 19. Dezember 1972; Abkommen über die Zollunion vom 19. Oktober 1987; Einreichung des Beitrittsgesuches am 4. Juli 1990; Beschluss des EU-Außenministerrates vom 6. März 1995 über den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Nikosia sechs Monate nach Abschluss der EU-Regierungskonferenz von 1996; formeller Startbeschluss des Luxemburger EU-Gipfels (12./13. Dezember 1997) für die Beitrittsverhandlungen mit Estland, Polen, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern (die so genannte Luxemburg-Gruppe). Am 31. März 1998 begannen in London die parallel, aber getrennt geführten Verhandlungen mit Zypern und den übrigen Kandidaten des ersten Beitrittszuges.
Auf dem EU-Gipfel in Helsinki (10./11. Dezember 1999) wurde die Türkei als Beitrittskandidat »im Wartesaal« anerkannt. 15 Im Zusammenhang damit wurde beschlossen, dass die Lösung des Zypernproblems zwar erwünscht, für die Aufnahme der Inselrepublik in die EU jedoch keine Vorbedingung ist. Der am 8. November 2000 präsentierte »Strategiebericht« der
EU-Kommission erteilte Nikosia gute Noten. Im Beschluss der EU-Außenminister vom 4. Dezember 2000 über die Beitrittspartnerschaft Ankaras wurde die Regelung der Zypernfrage zwar von der Liste der zeitlich befristeten politischen Kriterien gestrichen, im Kapitel »verstärkter politischer Dialog und politische Kriterien« wurde Ankara indes aufgefordert, die Bemühungen der UN um eine Lösung des Zypernproblems zu unterstützen. Die Beschlüsse des EU-Gipfels in Nizza (7. bis 11. Dezember 2000) sicherten der Republik Zypern im Falle des Beitritts einen EU-Kommissar, sechs
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