Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
seiner jahrtausendelangen bewegten Geschichte 3 wegen seiner geopolitischen Exponiertheit weitgehend von fremden Kräften geprägt. Doch sein Eigenleben erlosch dabei nicht. Schon früh stand die »Insel der Aphrodite« im Wirkungskreis hellenischer Kultur. 4 Die dialektische Begegnung von fremden Einflüssen und zypriotischem Eigenleben lässt sich z. B. bei den Auseinandersetzungen zwischen Byzanz und dem Islam 5 oder bei den Gegensätzen
während der Herrschaft der Lusignans (1192 bis 1489) oder Venedigs (1489 bis 1571) feststellen. Unter dem Gesichtspunkt des Zypernproblems indessen interessieren vor allem die Entwicklungen während der Herrschaft der osmanischen Eroberer (1571 bis 1878) und der Briten (1878 bis 1960).
Zypern hatte während der Türkenherrschaft mit weniger Problemen zu kämpfen als andere Regionen. Es machte sich jedoch oft eine Kluft zwischen dem idealtypischen osmanischen Administrationskonzept und der von Willkür und Korruption geprägten Realität bemerkbar. 6 Es gab griechischzypriotische Freiheitsregungen. Der Schulterschluss ausgebeuteter Griechen und Türken der Unterschicht gab den Freiheitsregungen zuweilen einen übernationalen Charakter. Die nationalen und religiösen Gegensätze wurden dadurch aber nicht aus der Welt geschafft. 1878 überließ die osmanische Regierung England den Besitz Zyperns unter Beibehaltung der Souveränität des Sultans. 1914 erfolgte dann die Annexion der Insel durch Großbritannien und 1923 die Anerkennung der britischen Annexion durch die Türkei im Vertrag von Lausanne. 1925 wurde die Insel zur Kronkolonie. Die sozioökonomische Entwicklung war wegen der Kolonialpolitik Londons langsam. Die Zyprioten wurden verfassungsrechtlich schlechter behandelt als andere Völker des britischen Imperiums.
Der griechisch-orthodoxe Klerus Zyperns wurde zum Protagonisten der Bewegung für die Enosis , die Vereinigung mit dem hellenischen »Mutterland«. Der Erzbischof von Zypern galt zugleich als Ethnarch (Nationalführer). Erzbischof Makarios (1913 bis 1977) spielte hier eine wichtige Rolle. Die Enosis -Bewegung beging den Fehler, im Zeitalter der Liquidierung der Kolonialherrschaft den Weg eines Irredentismus alten Stils einzuschlagen. Selbst die sich anfänglich für die Autonomie einsetzende, 1926 gegründete Kommunistische Partei (KP) Zyperns (später Wiederaufbaupartei des arbeitenden Volkes, Anorthotiko Komma Tou Ergazomenou Laou , AKEL) zeigte sich hinsichtlich der zu befolgenden Strategie unsicher. Der bewaffnete Kampf (1955 bis 1959) der rechtsgerichteten griechischzypriotischen Untergrundorganisation EOKA ( Ethniki Organosis Kyprion Agoniston ; Nationale Organisation zypriotischer Kämpfer) führte nicht zum proklamierten Enosis- Ziel. Wegen der für die Griechischzyprioten ungünstigen machtpolitischen Situation kam es 1959 zu den Vereinbarungen von Zürich und London, die das aufgrund der demographischen Lage (1960: 77 Prozent Griechischzyprioten, 18,3 Prozent Türkischzyprioten; ferner Maroniten, Latiner, Armenier und andere) gerechtfertigte Selbstbestimmungsrecht der griechischen Mehrheit 7 durchkreuzten.
Die Vereinbarungen von Zürich und London bildeten die Basis für die Gründung der Republik Zypern, deren Existenz und Struktur Großbritannien,
Griechenland und die Türkei in einem Vertrag garantierten. 8 Nach dem rechtlichen Status der in der Nacht vom 15. zum 16. August 1960 ausgerufenen Inselrepublik waren die Vereinigung Zyperns mit einem anderen Staat und die Teilung in zwei unabhängige Staaten verboten. Letzteres war eine Absage an die Taksim (Teilung)-Losung des türkischen Nationalismus. Diese Absage wurde aber durch eine Privilegierung der Türkischzyprioten erkauft. 9 Für die Architekten des Zypernarrangements von 1959/1960 gab es keine Zyprioten, sondern nur Griechen und Türken auf Zypern. Die dem Inselstaat aufoktroyierte Verfassung ging somit an Gemeinsamkeiten vorbei, welche die beiden Volksteile bei allen Unterschieden und Gegensätzen doch verbanden und verbinden. 10 Der Gedanke einer gemeinsamen Heimat, einer Willens- oder Konsensualnation, 11 fand im Rechtsinstrumentarium der Republik keinen Niederschlag. Das komplizierte Verfassungssystem war vielfach nicht funktionsfähig. So kam es Ende 1963 zum blutigen Konflikt zwischen Griechisch- und Türkischzyprioten. 1964 wurden die UN-Friedenstruppen nach Zypern entsandt.
Besonders bedenklich bei der Regelung von 1959/1960 war die Vorschrift, nach welcher unter bestimmten
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