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Europa-Handbuch - Europa-Handbuch

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Titel: Europa-Handbuch - Europa-Handbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Weidenfeld
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Die Akteure reagieren auf die voranschreitende Integration der Märkte und die neuen europäischen Wettbewerbsverhältnisse, die zugleich Teil einer zunehmenden globalen Modernisierungskonkurrenz der Industriegesellschaften sind. Entscheidend bleiben aber die Veränderungen der Kompetenzen und Entscheidungsverfahren der Gemeinschaft im Zuge der Vertragsreform der Einheitlichen Europäischen Akte. Darunter fallen die vermehrten Mehrheitsentscheidungen im Rat und die Mitentscheidung des Europäischen Parlamentes sowie die politischen Auseinandersetzungen um die rechtliche, technische und materielle Ausgestaltung des Binnenmarktes. Eine transnationale Eigendynamik, wonach Euroverbände ihrerseits dem politisch-institutionellen Integrationsprozess Struktur und Richtung verleihen, ist dagegen nur in Ansätzen zu beobachten.
    Als Beispiel eines strukturbildenden Impulses durch Euroverbände kann das im Maastrichter Abkommen zur Sozialpolitik enthaltene Verfahren zum neuen »Sozialen Dialog« genannt werden. Dieses wurde von den europäischen Dachorganisationen der privaten und öffentlichen Arbeitgeber,
UNICE und CEEP und dem EGB, erarbeitet und der Maastrichter Regierungskonferenz vorgeschlagen, die es im Wesentlichen unverändert übernommen hat. Als Beispiel einer die Programmentwicklung und Agenda der Gemeinschaft unmittelbar und nachhaltig beeinflussenden Rolle gesellschaftlicher Akteure kann die Binnenmarktstrategie des European Round Table of Industrialists (ERT) genannt werden. Diese Gruppe von gegenwärtig 44 Vorstandsvorsitzenden der größten europäischen Konzerne, die zugleich ein ständiges Brüsseler Sekretariat unterhält, hatte 1985 eine »Agenda for Action-Europe 1990« vorgelegt, die das Binnenmarktprogramm der damals neuen Europäischen Kommission unter Jacques Delors nachhaltig prägte. Auch der Umsetzungsprozess wurde durch ein eigens eingerichtetes ERT-Gremium, das sich halbjährlich mit führenden Regierungsvertretern aller Mitgliedstaaten traf, kontinuierlich begleitet und systematisch beeinflusst.
    Im entwicklungsgeschichtlichen Gesamtzusammenhang betrachtet, ist in zahlreichen verbandlichen Vertretungsbereichen eine Entwicklungslinie zu erkennen, die stufenförmig zu jeweils höheren Kooperations- und Integrationsgraden führt. Es lassen sich dabei verschiedene Kategorien erkennen. Zum einen der Typus des in den 1950er und 1960er Jahren vorherrschenden round table (Typus I), der im Wesentlichen bei einem multilateralen Informationsaustausch verbleibt, zum anderen die »Allianz« (Typus II), die Aufgaben der Koordination und Kooperation erfüllt und vielfach die euroverbandliche Wirklichkeit in den 1970er und frühen 1980er Jahren kennzeichnet. Ein drittes Stadium europäischer Verbandsentwicklung wird bei einzelnen Verbänden im Zuge des Binnenmarktprozesses mit der Formierung zur transnationalen pressure group (Typus III) erreicht. Dieser Typus bündelt und vermittelt gemeinsame Interessen auf europäischer Ebene und vertritt diese durch gleichlaufende Aktivitäten der nationalen Mitglieder gegenüber ihren jeweiligen Regierungen.
    Eher als Zukunftsszenario denn als reale gesellschaftliche Größe wäre schließlich ein Typus IV, die »transnationale intermediäre Organisation« zu nennen. Diese wäre ein weitgehend autonomer, transnationaler Akteur mit Führungs- und Kontrollkompetenzen gegenüber den nationalen Mitgliedern.
1.3 Organisations- und Aufgabenprofile europäischer Interessengruppen
    Um ein umfassendes und differenziertes Bild europäischer Verbändewirklichkeit zu gewinnen, müsste dieses entwicklungsgeschichtliche und typologische
Raster mittels verschiedener quantitativer und qualitativer Messgrößen eingehender bestimmt werden. Dazu zählen die Entwicklung der fachlichen und räumlichen Zuständigkeiten der europäischen Verbände, ihre personellen und materiellen Ressourcen, verbandsinterne Organisationsstrukturen, Willensbildungsprozesse und Dienstleistungsprofile. Ferner bedürfte es einer detaillierten Analyse der jeweiligen »inneren« und »äußeren Verbandsumwelt«, um die Handlungsgrenzen und Einflussmöglichkeiten eines Euroverbandes, dessen »Akteursqualität«, adäquat zu bewerten. Es müssten also sowohl die Eigenschaften der vertretenen Gruppe, Zahl, Struktur und Interessenlage der Verbandsmitglieder (innere Verbandsumwelt) als auch der Vergemeinschaftungsgrad des vertretenen Politikbereiches, die Struktur der Einflussadressaten und der konkurrierenden Verbände

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