Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
verknüpfte. 26 Die 1975 in Helsinki verabschiedete Schlussakte der KSZE intensivierte den Wirtschaftsaustausch zwischen Ost und West und begründete damit eines von zwei für die spätere Überwindung des Konfliktes entscheidenden Kooperationsmustern: die Ankopplung der Planwirtschaften an die Wirtschaften des Westens – auf ihrer Basis suchten die kommunistischen Regime des RGW in den Krisen der Planwirtschaft der 1980er und 1990er Jahre tendenziell nicht die Abgrenzung, sondern eine größere Nähe zum Westen, durch Kredite wie durch Wirtschaftskooperation.
Das zweite für die allmähliche Öffnung der Gesellschaften wesentliche Muster resultierte aus den Verpflichtungen der KSZE-Schlussakte auf die Einhaltung grundlegender Menschenrechte, verbunden mit der Öffnung des Ostblockes für westliche Medien. In der Folge gründeten sich in nahezu allen Staaten Helsinki-Komitees bzw. Bürgerrechtsgruppen, für deren Arbeit die durch die Präsenz westlicher Medien geschaffene Öffentlichkeit unerlässlich wurde. Die Ausdehnung der »menschlichen Kontakte« zwischen Ost und West wurde vor diesem Hintergrund zur Keimzelle des Umbruchs in Mittel- und Osteuropa – sicher keine hinreichende Bedingung für den Zusammenbruch der Regime 1989, vielleicht aber eine notwendige Bedingung für den raschen Aufbau neuer und demokratischer politischer Eliten und Parteien. 27
7.3 Die »Europäisierung Europas«
Absehbar war diese Schlüsselrolle des KSZE-Prozesses noch nicht, als zum Jahreswechsel 1979/1980 mit der sowjetischen Invasion in Afghanistan das Ende der Entspannung gekommen schien. Vor allem in der amerikanischen Politik gegenüber der Sowjetunion begann eine Periode neuer Abgrenzungen und Verhärtungen; der amerikanische Senat setzte den Ratifikationsprozess des SALT-II-Abkommens zur strategischen Rüstungskontrolle aus und entzog damit zugleich der Entspannungspolitik symbolisch ihre strategische Grundlage. In Westeuropa, wo die Gewinne der Detente in wirtschaftlicher wie gesellschaftlicher Hinsicht klarer zutage getreten waren, wurde über die »Teilbarkeit« von Entspannung debattiert mit dem Ziel, Handlungsspielräume der Ostpolitik für die europäischen Staaten zu erhalten, ohne die Solidarität im Rahmen der Atlantischen Allianz infrage zu stellen. Die Wiederaufnahme des offenen strategischen Wettrüstens zwischen der Sowjetunion unter Breschnew und den Vereinigten Staaten in der Präsidentschaft Reagans beförderte nicht nur die Entstehung zumeist außerparlamentarisch agierender Friedensbewegungen, sondern gab auch Anstoß zur Neuauflage der alten Debatte um die Rolle Europas im Ost-West-Konflikt.
Die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, deren technologische Überlegenheit im militärischen Bereich immer offensichtlicher wurde, durch einen Politikwechsel die Qualität der Ost-West-Beziehungen unilateral zu definieren, stieß in Europa, vor allem in Frankreich, auf Kritik. Zwar konnte sich die französische Strategie nicht durchsetzen, über eine Wiederbelebung der Westeuropäischen Union eine »sicherheits- und verteidigungspolitische Identität« Europas außerhalb der NATO und in gedachter Konkurrenz zu ihr zu entwickeln, doch bestand weitgehender Konsens unter den westeuropäischen Regierungen, dass zur Interessenvertretung ein »europäischer Pfeiler« in der Allianz, der die Bindung Amerikas an Europa jedoch nicht schwächen dürfe, nützlich sein würde. Im Blick auf die immer wieder aufflackernde transatlantische Debatte um den Stand des politischen wie militärischen burden-sharing (Lastenteilung) sprach für die Pfeilerkonzepte auch die größere Sichtbarkeit europäischer Verteidigungsanstrengungen sowie ihre politische Steuerung – ein europäischer Pfeiler bedeutete die Bündelung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäer und damit auch eine Bündelung ihrer Interessenvertretung im Rahmen der NATO. 28
In der Sicherheitspolitik der 1980er Jahre sind diese Überlegungen in zahlreiche Initiativen im Rahmen der WEU und der NATO sowie im bilateralen Bereich – in diesen Kontext fällt auch die Gründung der deutsch-französischen
Brigade, der Keimzelle des Eurocorps – eingegangen, doch eine Verselbstständigung europäischer Verteidigung hat sich daraus nicht ergeben: In der Summe haben die Europäer stets dem Kostenvorteil und dem geringeren politischen Aufwand der Beibehaltung der alten Struktur den Vorzug gegeben, nicht zuletzt aufgrund ihrer alten Sorge einer Abkopplung der
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