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Europa nach dem Fall

Titel: Europa nach dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Laqueur
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Europa aussehen? Seine ethnische Zusammensetzung wird sicher nicht die von gestern sein, was sich nicht nur innenpolitisch auswirken wird. Politiker wie Beobachter des Zeitgeschehens verlieren diese offenkundige Tatsache oft aus den Augen, wenn sie über die Zukunft des Kontinents reden. Es könnte infolge der globalen Erwärmung und der allgemeinen Armut in Afrika und im Nahen Osten zu einer großen Einwanderungswelle von Süden nach Norden kommen. Selbst ein verarmtes Europa wird Menschen aus dem Jemen und aus Äthiopien noch verlockend erscheinen und sie veranlassen, sich ins relativ kühlere Klima weiter nördlich aufzumachen. Es ist nicht zu erwarten, dass sie sich in Richtung Beijing und Schanghai bewegen, wie beeindruckend Chinas Wirtschaftsleistung auch sein mag.
    Orhan Pamuk, der bekannte türkische Schriftsteller, stellte in einem vielgelesenen Artikel im Guardian vom 23. Dezember 2010 fest: »Die Armen, Arbeitslosen und Schutzlosen Asiens und Afrikas, die sich nach neuen Plätzen umsehen, wo sie leben und arbeiten können, werden sich nicht auf unbestimmte Zeit von Europa fernhalten lassen. Höhere Mauern, strengere Visabestimmungen und Schiffe, die in wachsender Zahl an den Hoheitsgrenzen patrouillieren, werden den Tag der Abrechnung nur hinauszögern. Am schlimmsten aber ist, dass einwanderungsfeindliche politische Maßnahmen und Vorurteile bereits jetzt die Kernwerte zerstören, die Europa zu dem gemacht haben, was es ist.«
    Das sind hehre Empfindungen, doch die meisten Europäer würden Orhan Pamuk daran erinnern, dass in den letzten Jahrzehnten Einwanderer nicht gerade von Europa ferngehalten wurden. Mehr Türken gingen nach Europa als in jeden anderen Kontinent. Eine weitere Zuwanderung in Zeiten ökonomischer Rezession mit 10 Prozent Arbeitslosigkeit in der Eurozone (die unter Jugendlichen noch höher ist) käme nicht zum richtigen Zeitpunkt, um die von ihm erwähnten Probleme zu lösen. Sie würden ihn des Weiteren daran gemahnen, dass es mit der Integration der bereits Gekommenen Schwierigkeiten gegeben hat und dass ihr Beitrag zu dem, was Europa ausmacht, gelinde gesagt umstritten ist.
    Europäer könnten wahrscheinlich anführen, dass derzeit kein Land der Welt Einwanderer mit offenen Armen empfängt und dass sogar der Ministerpräsident der Türkei in einer öffentlichen Ansprache erwogen hat, staatenlose Armenier aus seinem Land zu weisen. Doch Pamuk hat natürlich recht, wenn er betont, dass Europa selbst in seiner gegenwärtigen schlechten Verfassung durch Migranten aus Asien und dem Nahen Osten unter Druck geraten wird und dass der »Tag der Abrechnung«, was immer er damit auch gemeint haben mag, zu ernsthaften politischen Problemen führen könnte.
    In der Zwischenzeit hat der unkontrollierte Zustrom von einigen Zehntausend illegalen Einwanderern von der Türkei nach Griechenland und von Nordafrika nach Italien zu ernsthaften Spannungen zwischen Frankreich, Italien und Deutschland geführt. Die große Mehrheit der Flüchtlinge hatte keine Absicht, in Italien, Griechenland oder der Türkei zu bleiben, sondern wollte sich weiter nördlich ansiedeln, doch weder Frankreich noch Deutschland wollten eine weitere Einwandererwelle über sich schwappen lassen. Griechenland wandte sich an die EU, um Hilfe bei der Kontrolle der Grenze zur Türkei zu erhalten, aber es erhielt nur etwa 200 Grenzschützer, und die mit großem Verzug.
    Thomas Hammarberg, der schwedische EU-Menschenrechtskommissar, drückte im Dezember 2010 ähnliche Empfindungen aus, als er feststellte, dass Europa Einwanderer wie Feinde behandle. Er kritisierte nicht nur die populistischen rechtsgerichteten Gruppen, sondern auch alle Staatsoberhäupter, Regierungen und Parlamente. Er sagte, Kanzlerin Merkel und andere europäische Regierungschefs verlangten von den Neubürgern zu viel, wenn sie von ihnen erwarteten, die Landessprache im Schnelldurchgang zu lernen und sich an die herrschenden Gepflogenheiten anzupassen. Multikulti, meinte er, sollte nicht als Fehlschlag gewertet werden, wobei er anmerkte, dass Menschen nur, wenn sie nicht willkommen sind, dazu neigen, sich abzugrenzen. Er erwähnte allerdings nicht, dass es keine Feindseligkeit gegen Einwanderer generell gibt, sondern nur gegen gewisse Gruppen, wobei die Angst vor Terrorismus nur eine Komponente ist.
    Die tieferen Gründe werden selten diskutiert. Es ist absolut richtig, dass ganz Afrika in enormen sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt. Das

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