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Europa nach dem Fall

Titel: Europa nach dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Laqueur
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den Straßen hilfreich, aber sie würde nicht die Art von kreativem Denken fördern, das für eine moderne Informationsgesellschaft nötig war. Und, um es noch einmal zu wiederholen, Reformen schienen unmöglich zu sein ohne eine gewisse Entspannung oder gar Annäherung an den Westen. Firmen aus dem Westen waren freilich früher schon in Russland (und sogar in der Sowjetunion) tätig gewesen, aber dabei hatte es sich um isolierte Unternehmungen gehandelt. Nun wurde etwas Umfassenderes und Ehrgeizigeres benötigt.
    Putin nahm an, dass es nicht sehr viele politische Konzessionen brauchte, um westliches Kapital und Know-how anzulocken. Westliche Kapitalisten waren mehr an Stabilität in Russland als an Menschenrechten interessiert. Angesichts der wirtschaftlichen Situation in Westeuropa wäre die Versuchung groß, die Aktivitäten in Russland zu verstärken. Die Invasion in Georgien im Jahr 2008, der Verbleib russischer Truppen in Moldawien und der auf die Ukraine ausgeübte Druck – all das waren Stolpersteine auf dem Weg zu verbesserten Beziehungen zwischen Westeuropa und Russland gewesen. Doch in Berlin und Paris machte sich der Eindruck breit, dass die russischen Ambitionen nicht über den Erhalt der früheren Sowjetunion als eines Bereichs »privilegierten Interesses« hinausgingen. Russische Ansprüche in der Arktis sind auf längere Sicht ein weiterer potenzieller Stein des Anstoßes, aber das ist bislang noch kein akutes Problem.
    Historisch gesehen waren Deutschland und danach Frankreich die Haupthandelspartner Russlands im Westen. Doch zurzeit macht Russland in der deutschen Handelsbilanz sehr wenig aus – weit weniger als die Länder Osteuropas. Berlusconi versuchte auch angestrengt, sich beim Kreml beliebt zu machen. Beziehungen zwischen Moskau und London blieben etwas unterkühlter, teils aus bereits erwähnten Gründen wie den Aktivitäten des KGB im Vereinigten Königreich, doch auch, weil Großbritannien die Geschäftsaussichten in Russland nicht so rosig einschätzte.
    Das andere Problem stellte die erweiterte EU mit nun 27 Mitgliedern dar. Die meisten osteuropäischen und baltischen Staaten stehen russischen Vorhaben von Haus aus skeptisch gegenüber, auch wenn nach außen hin die Beziehungen zum östlichen Nachbarn normalisiert worden waren. Das Problem ließ sich durch direkte Treffen von deutschen und französischen Amtsträgern mit den Russen umgehen, so etwa das im französischen Deauville im Oktober 2010. Das wurde nicht einhellig begrüßt. Die Gazeta Polska , eine polnische Zeitung, brachte die Meldung über das Treffen in Deauville unter der Überschrift »Die Troika teilt Europa« – ohne das Ganze auch nur durch ein Fragezeichen zu relativieren.
    Russland erhoffte sich von solchen Treffen mit Deutschland und Frankreich eine generelle Annäherung, Unterstützung für Russlands Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) und freie Reisemöglichkeiten für russische Bürger in Europa ohne Visumantrag. Bei einer Gelegenheit, im November 2010, erwähnte Putin die Möglichkeit einer gemeinsamen Währung. Doch es gab auch ständige Interessenkonflikte, hauptsächlich wegen der Öl- und Gaslieferungen. Die Vereinbarungen Russlands mit Polen und Bulgarien verletzten die Antimonopolgesetze der EU.
    Diese Gesetzgebung war den Herrschern im Kreml ein Dorn im Auge und wurde von ihnen des Öfteren angegriffen. Das Ziel Russlands war es schließlich nicht nur, einen hohen Preis für seine Exporte zu erzielen, welche die Hauptstütze seiner Wirtschaft waren, sondern auch, bei Europas Energieversorgung eine Monopolstellung zu erreichen. Gerade das bereitete Brüssel und den einzelnen europäischen Ländern große Sorge. Sosehr eine Annäherung an Russland erwünscht war, wollten sie doch nicht zu Satelliten Russlands werden. Des Weiteren sollte noch eine Kommission zwischen der EU und Russland zu Politik- und Sicherheitsfragen unter dem Vorsitz von Lady Ashton für Westeuropa eingerichtet werden, zusätzlich zum bereits existierenden NATO-Russland-Rat, und diese neue Kommission sollte Grundregeln für ein gemeinsames ziviles und militärisches Krisenmanagement festlegen. Solche Gremien hatte es schon seit einigen Jahren gegeben, aber ihr Einfluss war fragwürdig gewesen. In der Vergangenheit hatten sie keine Bedeutung gehabt, und ob die »Empfehlungen zu etlichen Konflikten und Krisensituationen« in der Zukunft irgendeine politische Bedeutung haben werden, bleibt noch abzuwarten.
    Während der letzten

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