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Europa nach dem Fall

Titel: Europa nach dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Laqueur
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gehörten sie den Regierungskoalitionen an. In Deutschland wurde ein von Thilo Sarrazin veröffentlichtes Buch, Deutschland schafft sich ab , ein durchstartender, wahrscheinlich noch nie da gewesener Sachbuch-Bestseller und löste eine Debatte aus, die viele Wochen das öffentliche Leben bestimmte. Dem folgte eine Ansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel, in der sie Sarrazin scharf kritisierte. Sie hatte sein Buch nicht gelesen, gab aber zu, dass die Integration in Deutschland auf ganzer Linie versagt hatte.
    Sarrazin war kein wild gewordener Neonazi, sondern ein Sozialdemokrat, ein Banker, der Finanzsenator der Berliner Landesregierung gewesen war. In seinem Buch betonte er, dass die rasch wachsenden muslimischen Gemeinschaften für die deutsche Gesellschaft eine untragbare Belastung darstellten, insofern nur wenige von ihnen einen positiven Beitrag zur deutschen Wirtschaft, zum Sozialleben und zur Kultur leisten würden, weil sie kulturell ungebildet und mangelhaft ausgebildet waren. Es gab in diesem Buch einige halb gare Nebenbemerkungen über die genetischen Wurzeln der muslimischen Rückständigkeit, an denen sich Sarrazins Kritiker festbissen. Doch das war nicht sein Hauptanliegen in diesem Buch, und die meisten der von ihm angeführten Fakten und Statistiken waren unanfechtbar und wurden von anderen akzeptiert und wiederholt, die über eine intime Kenntnis der Lage verfügten, wie etwa der sozialdemokratische Bürgermeister von Neukölln, dem Stadtteil mit dem höchsten türkischen Bevölkerungsanteil in Berlin.
    Politisch erging es Sarrazin nicht gut. Er trat von seinem Posten als Vorstand der Deutschen Bundesbank zurück. In Deutschland sind mehr als in anderen europäischen Ländern die öffentliche Meinung und die gedruckte Meinung oft meilenweit voneinander entfernt. Die politische Klasse und die meisten Intellektuellen verurteilten ihn nahezu einhellig, doch in der allgemeinen Öffentlichkeit gab es eine massive Strömung zu seinen Gunsten, und die anschließende Debatte zeigte nur, wie sehr die Elite den Kontakt zur öffentlichen Meinung verloren hatte. Sigmar Gabriel, der Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten, gab seine Forderung zu Protokoll, dass diejenigen Migranten, die sich nicht integrieren wollten, das Land verlassen sollten, was über das hinausging, was Sarrazin je vorgeschlagen hatte.
    Offiziellen deutschen Statistiken zufolge hatten 72 Prozent der Migranten im Alter zwischen 20 und 64 keinen Schulabschluss und auch keine sonstige berufliche Ausbildung. (Junge Frauen standen insgesamt besser da als junge Männer, doch die meisten durften außerhalb ihres Haushalts nicht arbeiten.) Andere offizielle deutsche Statistiken zeigten, dass in ein paar Jahren in vielen größeren Städten Deutschlands mehr als die Hälfte der Altersgruppe unter 40 muslimischer Herkunft sein wird. Dies bedeutete, dass es ohne einen radikalen Umschwung zum Anwachsen einer neuen Unterschicht von Unterprivilegierten und, nach den Worten eines Kommentators, »einem Teufelskreis aus Armut, Gewalt und sozialer Perspektivlosigkeit« kommen würde. Es hieß auch, dass ein alterndes Deutschland, derzeit der Hauptmotor der EU, nicht länger in der Lage wäre, auf den Weltmärkten zu konkurrieren.
    Einige der muslimischen Einwanderer hatten es geschafft und waren beruflich erfolgreich. Sie wurden Ärzte, Anwälte, Geschäftsmänner und Geschäftsfrauen, manchmal gegen beträchtliche Widerstände. Einige dieser erfolgreichen Einwanderer haben ihre Gemeinschaften ganz schön kritisiert. Ahmed Abu Taleb, der Bürgermeister von Rotterdam, hat die holländische wie die marokkanische Staatsbürgerschaft. Doch das hat ihn nicht davon abgehalten, seinen Landsleuten, denen es in den Niederlanden nicht gefiel, zu raten, sie sollten ihre Sachen zusammenpacken und in ihre Heimat zurückkehren. Job Cohen, der langjährige Bürgermeister von Amsterdam, hätte einen ähnlichen Vorschlag nicht gemacht und es auch nicht gekonnt. Nyamko Sabuni, die schwedische Ministerin für Integration und Gleichberechtigung, verlangte eine Untersuchung, um festzustellen, wie viele junge Mädchen aus Migrantenfamilien der Genitalverstümmelung ausgesetzt gewesen waren. Gleichzeitig wandte sie sich gegen die Verschleierung und Zwangsheiraten. Diese Initiative hatte keinen Erfolg, doch wiederum hätte kein einheimischer schwedischer Amtsträger es gewagt, ein ähnliches Vorgehen vorzuschlagen.
    Diese Kritiker waren jedoch eine kleine Minderheit. Des

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