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Europa nach dem Fall

Titel: Europa nach dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Laqueur
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Jahre hat Moskau ein gewisses Interesse an engen Beziehungen mit Europa gezeigt; Anregungen zu einem russisch-europäischen Sicherheitspakt reichen bis zum Jahr 2008 zurück, wenn nicht noch weiter. Gorbatschow hatte schon 1989 in einer Ansprache an den Europarat von einem »gemeinsamen Haus Europa« gesprochen. Die Idee eines Paktes wurde von Medwedew und Putin wiederholt bei Treffen mit europäischen Staatsmännern aufgeworfen. Wenn die Europäer darauf bestanden, die Vereinigten Staaten einzubeziehen, wies Moskau darauf hin, es könnte ein solches Vorhaben unter der Annahme akzeptieren, dass die NATO ihre Existenzberechtigung verloren hat, dass Amerika schließlich hinausgedrängt werden könnte oder das Interesse verlöre, und dass Russland auf jeden Fall in solch einer Organisation ein Vetorecht haben würde. Der Wahrscheinlichkeit ist Rechnung zu tragen, dass andere Mächte wie China oder einige muslimische Länder die europäische Orientierung Russlands scheel ansehen könnten. Moskau könnte argumentieren, dass der Kreml in einer russisch-europäischen Achse der stärkere Partner sein würde und dass die Politik eines solchen rein defensiven Pakts in einem erheblichen Ausmaß von Russland vorgezeichnet werden würde.
    In den europäischen Hauptstädten und noch weniger in Washington gab es keine große Begeisterung für ein Vorhaben dieser Art. Es wurde als ein Versuch gewertet, die politische Einflusssphäre Russlands auszuweiten. Wenn alle für Frieden, Sicherheit und enge Beziehungen auf allen Gebieten waren, ließ sich das innerhalb des Rahmens der bestehenden Institutionen erreichen, ohne dem Kreml ein Vetorecht bei praktisch allen europäischen außenpolitischen und verteidigungspolitischen Initiativen zu gewähren. Hätte Europa ein ähnliches Vetorecht bei der russischen Außenpolitik gehabt, hätte es dann den Kreml beispielsweise überzeugen können, 2008 nicht in Georgien einzumarschieren? Während sich die Beziehungen zwischen Europa und Russland sicherlich verbessert haben, waren sie nicht so weit besser geworden, dass das gegenwärtige Russland als eine Demokratie westlichen Zuschnitts betrachtet wurde. Die Lage wurde von Dmitrij Rogosin, dem damaligen russischen Botschafter bei der NATO und früheren bekannten rechtsgerichteten Politiker, lakonisch zusammengefasst, als er sagte: »Wir bekommen vom Westen gesagt, dass er die NATO und die Europäische Union so mag, wie sie sind, dass sie ihm gut passen. Also uns passen sie nicht. Wir mögen sie nicht.«
    Während die Europäische Union bereit war, hinzunehmen, dass Russland kein demokratischer Staat nach westlichem Vorbild war und sich unter der gegenwärtigen politischen Führung auch nicht auf dem Weg zur Demokratie befand, hatte sie andererseits, wenn es nach ihr ging, kein Interesse, den politischen und wirtschaftlichen Einfluss Russlands in Europa zu stärken.

Muslime in Europa
    Vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise standen die Probleme mit den muslimischen Minderheiten in Europa auf der Tagesordnung des öffentlichen Diskurses ganz oben. Es war allgemein klar, dass die Integration nicht geklappt hatte (Merkel hatte es gesagt, sowie auch Cameron), und die Herausbildung von »Parallelgesellschaften« wurde von den meisten nicht begrüßt. Es hatte die französischen Unruhen von 2005 und die Angst vor terroristischen Anschlägen im Gefolge ähnlicher Ereignisse in London, Madrid und anderswo gegeben. Doch die französischen Unruhen kühlten ab, auch wenn Recht und Ordnung in den französischen Banlieues niemals ganz wiederhergestellt wurden, und es gab auch keine größeren Anschläge in Europa, obwohl einige geplant wurden. Wer sich aktiv am Dschihad beteiligen wollte, ging nach Pakistan oder Afghanistan zum Kämpfen. Einige Pläne zur Durchführung terroristischer Anschläge in Europa wurden ausgeheckt, aber sie scheinen amateurhaft gewesen zu sein, denn sie wurden von europäischen Sicherheitskräften aufgedeckt und vereitelt.
    So schien das Muslim-Problem in Europa, wenn es überhaupt existierte, zu einer sozialen und demografischen Frage geworden zu sein, das heißt also, zu einem langfristigen Problem. Als die Rezession kam, war es in den diskutierten politischen Fragen kein Thema mehr. Doch nicht für lange. 2009 kehrte es mit aller Macht zurück. In den traditionell tolerantesten europäischen Ländern wie Schweden und Holland gewannen integrationsfeindliche Parteien bei den Wahlen viel Boden. In Holland, Norwegen und Dänemark

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