Europa nach dem Fall
Wenn dies die wahre Lage widerspiegelte, wie erklärte sich dann der ganz andere Eindruck der Allgemeinheit? Wie waren die häufigen Beschwerden zu erklären, dass man sich wie ein Fremder im eigenen Land fühle? War es ein Fall fehlgeleiteter Angst oder eine Halluzination, wenn die meisten Angehörigen der »schweigenden« Mehrheit nicht erkannt haben, dass mit der Aufnahme der Migrantengemeinden alles gut gelaufen war?
Dürfen wir den Ergebnissen der Meinungsforscher trauen? Oder könnte es sein, dass diejenigen, welche die Umfrage beantworteten, als in erster Linie wohlerzogene Menschen Antworten lieferten, von denen sie glaubten, sie würden die Forscher erfreuen? Könnte es sein, dass sie bei der Frage nach der Unterstützung für Terroristen nicht ganz aufrichtig gegenüber Menschen waren, die sie nicht kannten und denen sie nicht vertrauten und die womöglich für die Sicherheitskräfte arbeiteten? Wenn es eine allgemeine Abscheu (und sogar Angst) vor Terrorismus in den muslimischen Gemeinschaften gab, wäre eine starke Zusammenarbeit mit der Polizei zu erwarten, um terroristische Anschläge zu verhindern. Nach allen Informationen ist dies jedoch nicht der Fall gewesen. Mogahed verurteilte streng die Obsession, mit der eher auf die Unterschiede zwischen den Gemeinschaften als auf die Gemeinsamkeiten geachtet wurde. Doch Mogahed tritt in der Öffentlichkeit mit Kopftuch auf, und das Kopftuch ist kein religiöses Gebot, sondern ist dazu da, den Unterschied zwischen Gläubigen und Ungläubigen hervorzukehren.
Untersuchungen dieser Art müssen nicht notwendigerweise ganz falsch sein, aber sie können auch nicht als realistisch erachtet werden. Mogahed hätte ein realistischeres Bild der wahren Lage gewonnen, hätte sie sich ein Fußballspiel in Paris oder Berlin angesehen, bei dem Frankreich gegen Algerien oder Deutschland gegen die Türkei spielte. Mit welcher Mannschaft identifizierten sich die Schlachtenbummler? Welche Nationalhymne sangen sie?
Die allgemeine Öffentlichkeit in Europa war in ihrer Ansicht nicht so optimistisch wie Cesari. Als Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab 2010 erschien, verkaufte es sich in wenigen Monaten mehr als eine Million Mal. Sarrazin behauptete, dass ein künftiges Deutschland kleiner und dümmer sein würde. Die islamischen Migranten hätten eine höhere Geburtenrate als die Deutschen. Sie seien bildungsmäßig unterbemittelt und überabhängig von staatlicher Hilfe. Ihre Kriminalitätsrate sei höher, und die meisten Frauen dürften nicht außer Haus arbeiten. Die meisten Fakten und Zahlen Sarrazins konnten nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Doch in einigen seiner Zukunftsprognosen gab er ernsthafter Kritik reichlich Spielraum.
Angesichts der Tatsache, dass die muslimischen Einwanderer zu wenig gebildet sind und ihre Nachkommen es überwiegend nicht schaffen, ihre Schul- oder ihre Berufsausbildung abzuschließen, gibt es da nicht die Chance, dass sich ihr Bildungsstand im Lauf der Zeit bessern wird? Trifft es zu, wie Sarrazin behauptet, dass Intelligenz erblich ist? Und auch wenn eine Mehrheit männlicher junger Türken die Schule vor dem Abschluss verließ, traf es nicht gleichzeitig zu, dass von denjenigen, die aus dem Iran, dem Irak und aus Afghanistan (gewöhnlich aus der Mittelschicht) stammten, ein höherer Prozentsatz einen Abschluss schaffte als die einheimische deutsche Bevölkerung?
Kurzum, Sarrazins fehlgeleitete und unnötige Ausflüge in den Bereich der Genetik machten ihn anfällig für Angriffe. Das war eine Disziplin, in der er eindeutig weniger zu Hause war als in der Behandlung aktueller sozialer Bedingungen. Der harsche Ton von Sarrazins Sprache ließ sich ebenfalls kritisieren. Was aber so viele Leser anzog und so viel Zustimmung hervorrief, waren seine Kommentare zur gegenwärtigen Lage. Viele seiner Befunde waren wohlbekannt und kaum angezweifelt worden, aber sie waren nie offen diskutiert worden.
Politische Korrektheit hatte lange eine freimütige Debatte über die Lage der Einwanderer und ihrer Gemeinschaften sowie auch darüber verhindert, was getan wurde und was getan werden konnte, um sie zu verbessern. Merkel kanzelte Sarrazins Buch als nicht hilfreich ab, aber es ist zu bezweifeln, ob sie ohne diese Veröffentlichung und die darauf folgende erhitzte Debatte eingestanden hätte, dass Multikulti gescheitert war. Die deutsche politische Elite hatte das Versagen der Integration ausgeblendet und stillschweigend angenommen, dass auf
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