Europa nach dem Fall
Angriffe in Europa mehren und noch mehr Opfer fordern. Während es wenig Islamophobie gibt, so existiert sicherlich eine Terrorphobie, und Dschihadisten sind gar nicht beliebt. Während der ersten zehn Jahre des 21. Jahrhunderts hat es relativ wenig größere Terroranschläge in Europa gegeben, wobei London und Madrid eher die Ausnahme als die Regel darstellen. Doch es hat weitaus mehr Attentatsversuche gegeben, und Hunderte von sogenannten Militanten gingen zum Kämpfen in den Irak, nach Afghanistan, in den Jemen und nach Somalia sowie in andere Einsatzgebiete.
Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass die überwältigende Mehrheit der muslimischen Migranten in Europa nicht den Wunsch hat, sich an terroristischen Aktivitäten zu beteiligen. Doch es stimmt auch, dass zwischen 10 und 20 Prozent Sympathien für die Dschihadisten bekundet haben und durch Propaganda aus diesen Kreisen sowie auch durch das Versagen der Integration in Europa radikalisiert wurden. Wenn Dschihadisten aus dem Nahen Osten und Asien zurückkehren, könnte es in Zukunft sogar noch mehr Anschläge in Europa geben.
Während führende muslimische Persönlichkeiten und Wortführer in Europa sich oft von terroristischen Anschlägen distanziert haben, ist ihre Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden bei dem Versuch, solche Anschläge zu verhindern, offenbar nicht sehr hilfreich gewesen. Sie waren oft nicht bereit, als »Informanten« über Radikale in ihrer Mitte zu fungieren, doch ohne solche Hilfe sind die Sicherheitskräfte ziemlich aufgeschmissen. Die Erfahrung zeigt, dass zur Vorbereitung von Terroranschlägen nur eine kleine Zahl von »Militanten« nötig ist, keine politischen Parteien oder Massenbewegungen. Und dies scheint auch zuzutreffen, wenn Terroristen zu einem künftigen Zeitpunkt bei ihren Anschlägen Massenvernichtungswaffen nuklearer, chemischer, biologischer oder anderer Art verwenden. Unter denjenigen, welche die Entwicklungen auf diesem Gebiet genau verfolgt haben, bezweifeln nur wenige, dass solche Anschläge früher oder später stattfinden werden. Die ersten Versuche mögen wohl scheitern, doch schließlich könnten sie Erfolg haben. Wenn das eintritt, würde es den Konflikt mit den muslimischen Gemeinschaften in den betroffenen Ländern ausweiten und vertiefen. Dies und nicht die weithin imaginäre und manchmal demagogische Berufung auf die Islamophobie scheint die wahre Gefahr in den kommenden Jahren zu sein.
Der russische Islam
In den Diskussionen über Muslime in Europa werden selten die in Russland lebenden erwähnt, obwohl ihre Anzahl der im restlichen Europa entspricht. Tatsächlich sind in Moskau mehr Muslime ansässig als in jeder anderen europäischen Stadt, und zwar 1,5 Millionen, womöglich sogar mehr. Alexander Malaschenko, einer der führenden russischen Experten, sagte vor einigen Jahren voraus, dass der Islam Russlands Schicksal sei. Das könnte etwas übertrieben sein. Die vollen Auswirkungen dieser Tatbestände sind der russischen Führung und der breiteren Masse jetzt noch nicht klar. Sie werden selten offen diskutiert.
Der Kontakt der Russen mit dem Islam reicht viele Jahrhunderte zurück. Russland wurde in der Folge der Einnahme Kazans 1571 durch Iwan IV. und der späteren Eingliederung der ganzen mittleren Wolgaregion die Heimat vieler Muslime. Die Eroberung des Kaukasus brachte mehr Muslime (und mehr Konflikte) in den russischen Machtbereich. Doch für den gewöhnlichen Bewohner Moskaus kam es zur einzigen Begegnung mit dem Islam, wenn er seinen Pförtner traf, der meist ein Tatare war.
In der Folge der Unterdrückung lokaler Widerstände im Kaukasus im 19. Jahrhundert und später auch in Zentralasien schien der Islam kein besonderes politisches Problem unter der sowjetischen Herrschaft zu sein. Es gab sogar eine beträchtliche kulturelle und soziale Assimilation, doch die beschränkte sich hauptsächlich auf die Oberschicht der lokalen Bevölkerung, wie sich nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Herrschaft zeigte. Dies verhinderte nicht Konflikte mit ethnischem Hintergrund. Die bedeutenden muslimischen Republiken spalteten sich ab, als die Sowjetunion zusammenbrach, aber ihre Abhängigkeit von Moskau wuchs und wurde manchmal sogar stärker.
Zur gleichen Zeit bahnte sich die Infiltration des Islamismus an. Saudi-Arabien, Libyen und andere arabische Länder wie auch der Iran halfen dabei, viele neue Moscheen zu bauen, und regten die Gründung zahlreicher nationalistisch-religiöser
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