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Europa nach dem Fall

Titel: Europa nach dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Laqueur
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unsicher geworden waren, dass sie nicht mehr betreten werden konnten. Juden, die in Städten wie Malmö oder Anvers wohnten, lebten in Angst vor Übergriffen, und in den Niederlanden wurde ihnen von einem wohlmeinenden früheren Regierungsmitglied gesagt, sie sollten die Emigration in Erwägung ziehen, weil ihre Zukunftsaussichten im Land nicht mehr die besten seien.
    Doch es ging nicht um ein paar Tausend Juden oder andere exponierte Minderheiten. Es herrschte unter den Europäern das ziemlich weit verbreitete Empfinden, dass sie allmählich Fremde im eigenen Land wurden. Dies und nicht die Feindseligkeit gegenüber dem Islam war der Grund für die unterschwelligen ethnischen Spannungen. Die politische Elite behauptete demgegenüber, dass solche Befürchtungen ganz ungerechtfertigt seien, doch eine Mehrheit teilte diesen Optimismus nicht, wie sich in Deutschland an Thilo Sarrazin und seinem Bucherfolg zeigte.
    Soziologisch gesehen bekamen die einwanderungsfeindlichen Bewegungen die größte Unterstützung durch die alte Arbeiterschicht und die Arbeitslosen, wohingegen die meisten Verteidiger der Einwanderer aus der mittleren und gehobenen Schicht stammten, wie dies etwa bei den Grünen in Deutschland der Fall ist. Das trifft auch auf Frankreich, Schweden, Italien und andere europäische Staaten zu. Die Begründung dafür erscheint wiederum einfach. Deutsche (oder Schweden und andere) aus der Mittelschicht kamen an ihrem Arbeitsplatz oder Wohnsitz tendenziell viel weniger mit den Einwanderern in ihren Ghettos in Kontakt und konkurrierten bei Arbeit und Wohnraum nicht mit ihnen. Einige dem extrem rechten Spektrum zugehörige Parteien haben außergewöhnlichen Zulauf erhalten, während andere, wie die des verstorbenen Jörg Haider in Österreich, auf der Stelle traten. Daher der häufige Vorschlag, diese Parteien nicht zu boykottieren, sondern sie in Regierungskoalitionen einzubinden, wo ihre Anziehungskraft bald nachlassen würde. Doch weil die Einwanderer nicht verschwinden werden, ist zu erwarten, dass die durch ihre Anwesenheit erzeugten Spannungen ebenfalls nicht nachlassen werden und dass der Antagonismus bestehen bleiben wird, außer es werden Mittel gefunden, um sie in die Gesellschaft zu integrieren.
    Bleibt noch, darauf hinzuweisen, dass ein solcher Antagonismus sich nicht gegen Ausländer per se richtet, sondern gegen diejenigen, die als Bedrohung des inneren Friedens und der traditionellen Werte angesehen werden. Das bezieht sich in erster Linie auf muslimische Gemeinschaften oder, um genauer zu sein, auf diejenigen Elemente in muslimischen Gesellschaften, die nicht zur Anpassung bereit sind. (Es bezieht sich auch auf Sinti und Roma, die aus dem Balkan nach Westeuropa ziehen – oder verfrachtet werden, doch das würde mehr ein soziales als ein politisches Problem darstellen.) Ist die extreme Rechte in Europa islamophobisch? Einige sind es, aber Le Pen und Haider haben mit dem Iran sympathisiert und die österreichische Rechte sogar mit Gaddafi.
    Wenn es noch weitere Beweise bräuchte für die Schwierigkeiten, exakte Bezeichnungen für die politische Orientierung von muslimischen Einwanderern wie auch für ihre Gegner zu finden, so wäre auf die von beiden Seiten eingegangenen Allianzen hinzuweisen. Radikale muslimische Gruppen haben mit der extremen Rechten kooperiert, aber auch mit der extremen Linken. Eine solche Zusammenarbeit mit Maoisten, Trotzkisten oder Neuen Linken mag seltsam und unnatürlich erscheinen angesichts der grundlegenden religionsfeindlichen Einstellung des Marxismus auf der einen und dem streng religiösen, oft fanatischen Glauben der Islamisten auf der anderen Seite.
    Doch in der politischen Praxis erwies sich das nicht als unüberwindliches Hindernis. Radikale Linke fanden es schon peinlich, da sie die starke Opposition der Islamisten gegen gleiche Rechte für Frauen und Schwule, den offenen Antisemitismus (nicht bloß Antizionismus) der militanten Islamisten und ihre Terrorismusaffinität und andere Glaubenssätze nicht so leicht hinnehmen konnten, weil sie als radikale Linke all dies normalerweise für reaktionär, ja sogar faschistisch gehalten hätten. Doch die extreme Linke war sehr lang schwach und isoliert gewesen und sah nun eine Chance, durch eine Allianz mit einem dynamischen Partner wieder Boden zu gewinnen. Sie konnte immer geltend machen, dass diese bedauerliche ideologische Rückständigkeit ihrer neuen Verbündeten unter Dritte-Welt-Bedingungen unausweichlich war und

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