Europa nach dem Fall
jede chinesische Expansion zwar die benachbarten Länder betreffen, jedoch nicht die ferneren. Andererseits sieht China sich als den kommenden Hauptpfeiler der Weltwirtschaft, und andere Staaten werden sich den chinesischen Bedürfnissen und Interessen anpassen müssen.
Das ist die internationale Harmonie, die Beijing gepredigt hat. Vielleicht wird es eine Arbeitsteilung geben, bei der einige europäische Länder hoch spezialisierte Produkte liefern werden. Diejenigen aber, die China wenig anzubieten haben, werden in eine schwierige Lage geraten. Europäer, die sich über die amerikanische Hegemonie beschwert haben, mögen sich wehmütig an die schlechten alten Zeiten erinnern. Andererseits könnte China den Weg zur Weltmacht schwieriger und anspruchsvoller finden, als es sich das vorgestellt und erhofft hatte. Bei wachsendem Wohlstand für einen viel größeren Teil der Bevölkerung könnte dessen Appetit auf mehr von allem zurückgehen, wie es bei anderen Großmächten der Fall war. Es könnte zu Streit zwischen den führenden Köpfen kommen und Spaltungen innerhalb des Landes könnten sich vertiefen. Die Geschichte der Großmächte lehrt uns, dass es eine unbegrenzte Anzahl an Möglichkeiten gibt, wie Dinge schieflaufen können.
Islamophobie?
In den Jahren 2009 und 2010 tauchte in vielen europäischen Ländern ein neuer innenpolitischer Trend auf. Politische Bewegungen, die der muslimischen Einwanderung gegenüber kritisch eingestellt waren, wurden stärker, sogar in traditionell sehr toleranten Gesellschaften wie Skandinavien und Holland. Diese politischen Trends lösten eine sehr große Konfusion aus unter Beobachtern, die noch weiter dadurch verwirrt wurden, dass diese Trends zu einer Zeit größerer wirtschaftlicher Umbrüche auftraten. Sicherlich gab es in so einer Zeit wichtigere Punkte auf der politischen Tagesordnung als das Schicksal relativ kleiner Einwanderergruppen? Auch konnten diese Gemeinschaften nicht für die eingetretenen wirtschaftlichen Katastrophen verantwortlich gemacht werden.
Die Erklärungen fielen nicht leicht. Doch diese einwandererfeindlichen Bewegungen errangen zwar nicht unbedingt gigantische Wahlsiege, gewannen aber auf einmal einen beträchtlichen politischen Einfluss; ohne sie konnten in einer Anzahl von Ländern keine stabilen Regierungskoalitionen mehr gebildet werden. Vielleicht lag es vor allem daran, dass die von diesen Einwanderergemeinschaften ausgelösten Probleme zu lange vernachlässigt worden waren.
Der Trend wurde häufig unter der allgemeinen Bezeichnung »rechtsgerichteter Extremismus« oder »Xenophobie«, ja sogar Neofaschismus eingeordnet. Doch eine solche Etikettierung führte nicht weit, sie konnte eher in die Irre führen. Diese Bewegungen waren größtenteils überhaupt nicht rechtsgerichtet. Darüber hinaus wäre es schwierig, machte man die Opposition gegen massenhafte Einwanderung aus dem Ausland zum Maßstab für »rechtsgerichteten Extremismus«, in diesem Fall überhaupt noch einen asiatischen, afrikanischen, lateinamerikanischen oder arabischen Staat zu finden (vielleicht Kuwait und Katar ausgenommen, die Handwerker brauchten), der nicht »rechtsgerichteten Extremismus« betrieb. Diese Länder wollten ausländische Arbeitskräfte für begrenzte Zeit, doch keines war bereit, eine beträchtliche Anzahl von Ausländern aufzunehmen, die sich in ihrer Mitte ansiedeln wollten. Dieser Liste ließen sich Japan und wahrscheinlich alle (außer einer Handvoll) Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen hinzufügen. Ein solcher Gedankengang zeigt die Absurdität, diese Etikettierung unterschiedslos anzuwenden.
Die Frage ist ganz offensichtlich weitaus vielschichtiger, und eine ernsthafte Untersuchung sollte mit der Frage beginnen: Wofür steht die Linke, und was bedeutet »rechtsgerichtet« in der heutigen Welt? Diese Gegenüberstellung reicht in Europa zurück bis zur Französischen Revolution. Links stand für die Ideale der Aufklärung wie Freiheit, Gerechtigkeit für alle, Demokratie und Menschenrechte. Die Linken waren progressiv, offen für neue Ideen; es war die Partei der Armen und Unterdrückten. Die Rechten waren konservativ, die Partei der Privilegierten. Sie verteidigten die Tradition und die bestehende soziale Ordnung und stellten sich gegen die Anwendung von Sozialtechniken, deren Folgen unvorhersehbar und womöglich schädlich waren.
Je weiter wir uns jedoch räumlich und zeitlich von Paris im Jahre 1789 entfernen, desto umstrittener wurden diese
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