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Europa nach dem Fall

Titel: Europa nach dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Laqueur
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allmählich abnehmen und verschwinden würde. Und was die terroristischen Aktivitäten betraf, so konnte ihre Bedeutung heruntergespielt werden. Was in der letztlichen Analyse wirklich zählte, war der antiamerikanische und antiimperialistische Charakter der religiösen Radikalen. Ob so eine politische Zusammenarbeit zwischen offenkundigen Extremen eine wirkliche und bleibende politische Wirkung haben würde, war wiederum eine andere Frage.

Warum Niedergang?
    Warum ist Europa seit beinahe einem Jahrhundert im Niedergang begriffen? Warum war es ursprünglich aufgestiegen? Warum, allgemein gefragt, gibt es den Aufstieg und Fall großer Mächte und Kulturen? Es gibt viele Antworten und Erklärungen, und jeder Fall scheint etwas anders gelagert. Und wenn alle Erklärungen angeführt sind, bleibt immer noch die Frage, welche Rolle der Zufall spielte.
    Philo von Alexandria, ein hellenisierter Jude, der im 1. Jahrhundert n. Chr. lebte, fasste die bis dato gesammelten Erfahrungen zusammen. Griechenland gedieh einst, doch die Mazedonier nahmen ihm die Macht weg. Mazedonien blühte, doch durch die Teilung wurde es geschwächt und verwelkte. Die Perser genossen ihr großes Glück, doch eines Tages wurde Persiens großes und mächtiges Königreich zerstört. Die Parther, einst die Untertanen der Perser, herrschten nun über diese. Ägypten, ihr früherer Herr, leuchtete lange Zeit glanzvoll, doch seine große Macht löste sich wie eine Wolke auf. Mit anderen Worten, die Tatsache, dass Reiche und Kulturen kommen und gehen, war Historikern schon lange bekannt.
    Edward Gibbon gab beim Fall von Rom hauptsächlich dem Christentum die Schuld, weil es unter anderem die Einrichtung der Sklaverei nicht billigte. Das ist von anderen bezweifelt worden. Sehr oft sind ökonomische und demografische Faktoren angeführt worden, und es scheint zuzutreffen, dass sie in einigen Fällen ausschlaggebend waren. Im Fall von Spanien wurde die Verantwortung für den Niedergang im 16. Jahrhundert König Philipp II. und dem Verfall der Wirtschaft angelastet. Doch der König, auch bekannt als El Prudente, war ein sehr achtsamer Mann, und einen wirtschaftlichen Niedergang gab es zu dieser Zeit nicht.
    Großbritannien galt in der Mitte des 19. Jahrhunderts als führende Wirtschaftskraft. Sein Stahlausstoß war größer als der aller anderen Nationen, und es hatte die Eisenbahn und andere entscheidende industrielle Erfindungen hervorgebracht. Doch 50 Jahre später hatte das Deutsche Reich Großbritannien überholt, obwohl es keinen großen Ehrgeiz im Handel und in der Industrie gezeigt hatte. Warum?
    Montesquieu war unter den Ersten, welche die Bedeutung des Klimas für Aufstieg und Fall von Nationen und Kulturen betonten, aber das scheint eher Afrikas Rückständigkeit erklären zu können als den Niedergang Europas, das sich eines gemäßigten Klimas erfreut. Früher wurde der Niedergang Portugals und der Niederlande mit ihrer schmalen demografischen Basis erklärt. Als kleine Länder könnten sie nicht über längere Zeit über viel größere ferne Gebiete herrschen. Das mag so sein, aber es erklärt nicht, warum die Bevölkerung in bestimmten Ländern sich ausdehnte, während sie in anderen schrumpfte. Warum verringerte sich die Bevölkerung der Mittelmeerländer ab dem 18. Jahrhundert, wohingegen die der nordeuropäischen Länder wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland zunahm? Ein Argument, das bei der deklinistischen Schule in den Vereinigten Staaten über mehr als zwei Jahrzehnte in Mode war, besagt, dass »imperiale Überanstrengung« der Hauptgrund gewesen sein könnte. Das könnte (zusammen mit anderen Faktoren) zutreffen für das Römische Reich, aber kaum für Europa im 20. Jahrhundert, dessen Einfluss im Zeitalter der Entkolonialisierung sich eher verringerte als ausdehnte.
    Sehr oft sind Reiche, Länder und Kulturen mit menschlichen Wesen und Tieren verglichen worden, welche die üblichen Lebensstadien wie Jugend, Reife, Alter und Verfall durchmachen. Es ist behauptet worden, dass Länder wie Menschen ihre Kraft und ihre ursprüngliche Dynamik verlieren, wenn sie altern. Thomas Mann behandelt in seinem großartigsten Roman, den Buddenbrooks , drei Generationen einer Familie. Der Vorfahre war ein erfolgreicher Händler und legte den Grundstein für den Wohlstand der Familie. Sein Sohn konsolidierte dieses Vermögen beständig, jedoch behutsam. Der kultivierte Enkel war ganz anders, da sein Interesse am Familienbetrieb praktisch nicht

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