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Familie, Dimitri Dimitrijewitsch? Die Achmatowa lächelte und sagte: Das muss Liebe sein!
O bitte , flüsterte er gequält und warf einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass Ninotschka nicht hereingekommen war.
Soll ich raten, wer es ist?, kicherte die Achmatowa.
Nicht nötig, liebe Anna Andrejewna, nicht nötig, es besteht kein Grund zu übermäßiger, wie soll ich sagen, Genauigkeit …
Ich verstehe, sagte die Achmatowa. Zu Puschkins Zeiten hat man nicht alles von sich preisgegeben.
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Dafür danke ich Ihnen; danke, danke ! Weil …
Ich glaube, sie steht schon auf der Liste, also keine Angst. Aber was finden Sie an ihr, Sie grauäugiger Prinz? Ich sehe da nichts.
Hat sie … ist sie …
Sie kommt durch. Roman Lasarewitsch sorgt gut für sie, soweit ich weiß. Warum haben Sie sie nicht geheiratet? Sie waren sehr dumm.
Meine liebe Anna Andrejewna …
Und nun muss ich gehen.
Am 25. September, als viele Bürger, die Nummern für die Grabzuteilung gezogen hatten, von Granatsplittern getötet wurden, feierte er seinen Geburtstag bei Kerzenlicht, mit schwarzem Brot und Kartoffeln statt Kuchen. (Nina verkündete den Gästen stolz und wütend: Er hat sich geweigert, evakuiert zu werden!) Vier Tage später vollendete er den dritten Satz seiner Sinfonie.
Für all jene unter Ihnen, die sich vielleicht noch immer fragen, wie die sogenannten »Schöpfungen« dieses formalistischen Intellektuellen überhaupt so nützlich sein konnten wie, nur zum Beispiel, die Zirkusakrobatik der Koch-Schwestern, die im Jahr 1943 mit ihrer berühmten Großen Signalmast-Nummer die Massen von den Sorgen des Krieges ablenkten, möchte ich diesen lieblichen und brillanten dritten Satz genauer erörtern, das Adagio, das Spuren des letzten Frühlings vor der Invasion enthält, als Schostakowitsch auf der Krim war und mit Schebalins Gattin Alissa Wacholderbeeren pflückte, einer Frau, die ihm, nun da Elena Konstantinowskaja fort war, für Leningrad stand; mit Alissa lebte er, zumindest für ein, zwei Tage, in einer Welt, die so untergegangen war wie die Handküsse der Grafen und Gräfinnen. Wie sie über seine kleinen Eulenaugen lachte! Und er … Nun, einfach war es dann auch wieder nicht, denn nachts wachte er auf und dachte an Elena. Egal, wir haben alle, sozusagen, unsere Sorgen. Nicht dass es irgendeinen Anlass zu Gefühlsduseleien gibt, besonders was Elena angeht, die war nun auch nicht gerade … egal, ich denke da zum Beispiel an, an Nina. Und wirklich, wenn der Wald Musik wäre, würden wir ein beschauliches Thema in Dur hören – diesen dritten Satz zum Beispiel, den er ursprünglich »Die Weite der Heimat« überschrieben hatte und dessen kathedralenartige Qualitäten an Rimski-Korsakoffs Loblied auf Ostern
erinnerten. Nina hatte zu ihm gesagt: Fick sie nicht so heftig, dass du vergisst, mir auch ein paar Beeren mitzubringen. – Es war Ninas Schicksal, immer nur zu geben, das aber hastig und jähzornig, so dass ihre Gaben ohne Dankbarkeit angenommen wurden. Er dagegen war ein großzügiger Mann, der nichts zu geben hatte. Nun, er füllte Alissas Schürze mit Beeren. (Ich wollte sagen, meine liebe, liebe Dame, das soll heißen …) Sie legten die Beeren in Wodka ein, fanden das Ergebnis aber zu kräftig; sie wurden so betrunken und ihre Zungen brannten so sehr, dass sie lachen mussten und beinahe den Zug nach Hause verpasst hätten, weil Alissa einen Ohrring verlor und dann das Taxi auf der schlammigen, steinigen Straße einen Platten nach dem anderen bekam, so dass Schostakowitsch vor lauter Übelkeit fast schlecht wurde, besonders da er ihr anvertraut hatte: Wir haben alle jemanden, dem wir, dem wir, du weißt schon, nachweinen … – und nachdem die beiden an jenem Abend im Zug mit dem Geiger P. eine Partie Karten gespielt hatten, kehrte dieser in sein Erste-Klasse-Abteil zurück und starb im Schlaf, worauf Schostakowitsch verhört wurde und beinahe verhaftet worden wäre, was ihn mit Sicherheit von Elena ablenkte. Und da machte das »Pâques«-Thema jenes dritten Satzes einem slawischen Tanz in Moll Platz, einem wilden Tanz, in dem plötzlich das Stampfen von Rächerstiefeln zu hören war. Dann flammte die verträumte Melodie wieder auf, wunderschön wie die Vierfach-Garben der Leuchtspurmunition, die aus den Maxim-Maschinengewehren Leningrads aufstiegen.
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Ich fürchte, ich habe diesen dritten Satz nicht sehr gut beschrieben. Lassen Sie es mich noch einmal versuchen. Er beginnt, wie gesagt, mit
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