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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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slawischen Wort ableitet: brl, was Morast bedeutet. Er schien sich aus diesem Schwebezustand nicht befreien zu können. In einem verdunkelten Fenster nach dem anderen schien blass sein hochgewachsenes Spiegelbild auf wie ein Blitz. Er trank Schnaps oder saß auf dem Klo, las Signal und dachte an Winniza zurück, wie er mit Strik-Strikfeldt am rustikalen Tisch gesessen hatte und die hübsche
Stenotypistin alles mitgeschrieben hatte. Obwohl alle ihm versicherten, dass seine Einsatzpläne noch immer auf höchster Ebene geprüft würden, hatte der Oberste Befehlshaber am 8.6.43 selbst gesagt, nicht ohne Verärgerung: Ich brauche überhaupt den General Wlassow nicht in unserem rückwärtigen Gebiet.
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    Bei allem Respekt, mein Führer, wenn Wlassow helfen würde, die Slawen bis Kriegsende ruhig zu halten, könnten wir viele, viele Soldaten von der Partisanenbekämpfung freistellen …
    Nein und nochmal nein, unterbrach Hitler. Keine deutsche Dienststelle darf auf den Köder anbeißen, den dieser Wlassow-Plan enthält.
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    Die Russische Befreiungsarmee …
    Ein Hirngespinst ersten Ranges.
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    Wie ein treuer Freund verheimlichte Strik-Strikfeldt diese neue Enttäuschung vor Wlassow, solange er konnte. (Er hielt es dagegen für das Beste, den armen Freund beiseitezunehmen und ihm einen Bericht zu zeigen, dessen Richtigkeit von Himmler persönlich bestätigt worden war: Wlassows russische Frau war verhaftet und aus Rache für seinen Verrat hingerichtet worden. Im Interesse des höchsten aller Werte, der Rationalität, war es nötig, Wlassow zu zeigen, dass es kein Zurück mehr gab.) Da war es schon Juli, und die Russen hatten ihre Durchbrüche zu einer wissenschaftlichen Operation verfeinert, ausgeführt zuerst von Panzer- und motorisierten Verbänden, dann von Panzerarmeen. Die Front wurde zum Sieb. Aber die deutsche Maxime lautete weiter: Keinen Fingerbreit Boden preisgeben!
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    Im September 1943 wurden seine russischen Verbände wegen der vielen Deserteure alle an die Westfront verlegt. Das machte ihren Sinn und Zweck zunichte. (An der Ostfront nannte der Feind die Läuse im Schützengraben inzwischen Wlassows Männer. ) Wlassow packte die Verzweiflung – auf krankhafte Weise, Heidis Meinung nach. Alle anderen überragend, stand er mit in die Hände gestütztem Kopf da und blickte hoffnungsvoll auf die lächelnden Deutschen herab, die Mundwinkel in Enttäuschungsbereitschaft. Himmler, für den er dieses russische Schwein General Wlassow war
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na verzeihen, vorausgesetzt, er verfasste einen direkten Befehl an seine Männer: Vergesst Russland, geht nach Frankreich. Er ging auf und ab und murmelte: Das ist schlimmer als Verrat. Das ist eine Beleidigung. Jetzt sollen wir nicht einmal mehr auf unserem eigenen Territorium kämpfen … – Aber sein bester Freund mahnte ihn, dass die Deutschen und die Wlassow-Männer nun zusammenhalten müssten. Egal, für lange Klagen war keine Zeit; die Rote Armee war wieder einmal durchgebrochen …
    Als am 6.11.43 Kiew fiel, wurde er so bleich wie Hitler, der auf und ab tigerte, mit dem Finger auf die Karte einstach und Zeitzler zurief: Wir können nichts retten. Die Folgen sind in Rumänien katastrophal … Hier ist eine große Position …
54  – Aber Heidi sagte: Ich glaube an dich, Andrej. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. So unglücklich bist du nur, weil du dich von deinem slawischen Blut runterziehen lässt. Du musst deinen inneren Schweinehund überwinden; ich helfe dir dabei …
    Inzwischen waren die Amerikaner offenbar in der Normandie durchgebrochen. (Wie hätte es auch anders sein können? Alles, was unsere Westfront noch hatte, waren Divisionen mit überholten statischen Eigenschaften.) In der Zwischenzeit versuchten Hitler und Guderian die Produktion von Panther-Panzern anzukurbeln. Wlassow las die Zeitungen und murmelte: Diese Linie ist unhaltbar. – Er stritt sich oft mit Heidi, die fand, dass er sich wenigstens Bewegung verschaffen solle. Zwei Mal hatte er sie nun schon dumm genannt; sie zählte mit. Ständig warf er dem deutschen Volk einen Mangel an Großzügigkeit vor, worauf sie ihn daran erinnerte, dass er uns sein Leben verdankte, sein Kommando und sogar eine neue Frau. Er wurde jetzt blass und schlaff. Er konnte mit dem Trinken nicht aufhören. Auf das Drängen ihrer Mutter versuchte sie, dazu zu schweigen. – Du hast ihn geheiratet, Liebchen. Jetzt musst du daran festhalten. Es gibt kein Zurück, ob es

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