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Gattin eines deutschen Offiziers; nach all den Jahren erwartete sie von ihm vor allem, dass er sein Bestes tat. Wenn er dieser Tage an sie dachte, fühlte er sich wie in einem kompliziert geschliffenen Kristallgefäß gefangen, von Sonnenlicht geblendet. Was den Gefreiten Vogel anging, er wurde jetzt an der Front an den Zaun gebunden, mit straffen Lederriemen an Knöcheln, Knien und Handgelenken gefesselt, und ihm hing schon ein Pappschild um den Hals, das seine ehemaligen Kameraden wissen ließ, dieser Junge sei nach Ermessen des zuständigen Offiziers zum Tode durch Erschießen bestimmt. Erst Verwaltungsmaßnahmen wie diese, derer man sich so gelassen wie möglich zu entledigen hatte; dann die nächste Zigarette. Es bestand noch keine Veranlassung, Coca Grund zur Beunruhigung zu geben; sie konnte seine Lage sicher recht gut einschätzen. Im Grunde hatte sich die Lage in der Festung Stalingrad normalisiert. (So sah die Festung Stalingrad aus: Doppelwälle aus schmutzigem Schnee zum Schutz der Eisenbahnschienen, gefrorene blutige Verbände auf den Böden der Unterstände.) Er hatte ihr Foto auf dem
Feldschreibtisch stehen, mit offenem Haar wie die Schauspielerin Lisca Malbran.
Er empfing Feldmarschall von Mansteins Stabschef und versicherte ihm, die 6. Armee könne ausharren, wenn sie nur wie vereinbart ausreichend Nachschub erhalte. Ungeduldig erwarte er den Befehl zum Beginn des Unternehmens Donnerschlag. Die beiden Männer prosteten einander zu. Dann stießen sie auf die 6. Armee an. Der Stabschef flog ab und Paulus sah ihn nie wieder.
Am 11.12.42, als der Feind den italienischen Teilabschnitt überrannte, sagte Paulus dem Leiter des Luftwaffen-Nachschubs: Ihre Luftversorgung hat uns enttäuscht. Wir haben nur ein Sechstel der versprochenen Güter erhalten. Damit kann meine Armee weder überleben, noch kämpfen.
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Herr Generaloberst, Reichsmarschall Göring hat uns persönlich versprochen …
Vor einer Weile hätten wir noch ausbrechen können, unterbrach Paulus ihn. Aber der Führer hat dem Reichsmarschall geglaubt. Was soll ich jetzt meinen Soldaten sagen?
Generalmajor Schmidt summte laut »Erika«.
Unsere Front am Tschir stand zunehmend unter feindlichem Druck. Er erließ einen Befehl, nach dem von nun an den gleichen Sicherheitsbestimmungen zu folgen war wie in der Wolfsschanze: Eine violette Leuchtrakete zum Beispiel würde einen Fallschirmjägerangriff anzeigen. Er bereitete die Aufstellung von Alarmeinheiten aus Freiwilligen aus seinen nicht kämpfenden Truppen vor; sie sollten vor den Verteidigungslinien Stellung beziehen und sich notfalls opfern, um bei Überraschungsangriffen Alarm zu schlagen. Er wollte einen Brief an Ernst aufsetzen, fand aber nicht die richtigen Worte. Wie Feldmarschall Bock immer zu sagen pflegte, das Wichtigste war, die Ruhe zu bewahren. Er schloss einen Brief an Olga ab, in dem er sie mahnte, pfleglicher mit dem Geld umzugehen. Er schickte Friedrich seine besten Wünsche.
Am 18.12.42 empfing er Feldmarschall von Mansteins Nachrichtenoffizier, einen gewissen Major Eismann, und bewirtete ihn mit Fleisch von einem erfrorenen Pferd. Eismann überbrachte ihm den jüngsten Bericht von Fremde Heere Ost, Gruppe I , Heeresgruppe B; und nach Einschätzung dieses Berichts war die Lage in Stalingrad durchaus ernst. Auch eine Kiste Schnaps hatte Major Eismann im Gepäck. Sie stießen auf den Sieg an. Major Eismann bereitete ihn darauf vor, dass die 6. Ar
mee, wenn das Unternehmen Donnerschlag einmal im Gange sei, erheblich weiter als bis an die Donskaja Zariza werde vorstoßen müssen, um sich mit den Entsatztruppen zu vereinen. Paulus machte ein langes Gesicht und begann, mit einem Bleistift zu spielen. Er wollte etwas sagen, aber Generalmajor Schmidt, mit der Wucht eines der 7,7-Liter-Wagen unseres Führers, unterbrach: Die 6. Armee wird auch noch Ostern ihre Stellung halten. Ihr müsst sie nur besser versorgen.
51 Finden Sie nicht auch, Herr Generaloberst?
Paulus nickte. Dann sagte er: Jedenfalls wäre ein Ausbruch unter den herrschenden Bedingungen unmöglich …
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Bei allem Respekt, Herr Generaloberst, ein Ausbruch ist für Ihre Armee die einzige Chance.
So reden Verräter!, sagte Generalmajor Schmidt.
Mein lieber Major Eismann, sagte Paulus, vielleicht ist unsere Lage Ihnen nicht völlig klar. Wir verfügen nur noch über einhundert einsatzbereite Panzer, und mit unserem Benzin kommen sie höchstens dreißig Kilometer weit.
Ja, Herr Generaloberst, aber sobald Donnerschlag
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