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Lagekarten analysierte und für jeden Teilabschnitt Verteidigungsschwerpunkte festlegte. Das XI . Korps und das XIV . Panzerkorps würden hier und hier zusammengezogen werden, am Ostufer des Don. Das Westufer würde er fürs Erste preisgeben. Die Männer glaubten an ihn; er würde sie hier herausholen. Er, der mit der Fähigkeit geschlagen war, die Folgen eines jeden Schachzuges bis in die letzten finstersten Konsequenzen vorherzusehen, fand sich zwar noch nicht schachmatt gesetzt, aber eindeutig im Schach; ein weißer, nur schwach von Bauern geschützter König. Seinen Offizieren sagte er: Keine Sorge. Ich übernehme die volle Verantwortung. – Er glaubte tatsächlich noch immer, dass man sich halten könne, wenn man sich nur anstrengte. Bald erhielte er Erlaubnis, das Unternehmen Wintergewitter einzuleiten, in Verbindung mit dem Unternehmen Donnerschlag. (Er sehnte sich nach dem Privileg einer letzten Lagebesprechung im Hauptquartier Werwolf oder Wolfsschanze; auf die Knie wollte er sinken, die Arme erheben und rufen: Ohne Sie, mein Führer, gibt es keine Hoffnung!) Sein Triumph von Charkow im vergangenen Frühjahr kam ihm nun vor wie das Ergebnis fanatischer Standhaftigkeit: Er hatte sich der 28. Sowjetarmee entgegengestellt, und die 28. Sowjetarmee war plötzlich zum Stehen gekommen. Da hatte er seine Panzer in die blutenden Wunden des Feindes bei Balakleia stoßen lassen. Warum war er da nicht zum Feldmarschall befördert wor
den? (Höherer Wille, hatte Feldmarschall von Reichenau ihn einmal belehrt, ist so wirkungsvoll wie eine Pistole, die man einem Russenmädchen an die Schläfe hält!) Und nun schloss der Feind die Operation Saturn gegen Rostow und Millerowo ab.
Erst die Karten, dann eine Zigarette, dann Coca. Er schrieb wieder einen seiner seltenen Briefe: Ich habe zur Zeit eine recht schwierige Aufgabe, von der ich hoffe, sie bald gelöst zu haben.
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Und da hörte er eine Melodie. Auf der vereisten Straße spielte ein Soldat Beethoven auf einem Flügel, den jemand aus einer Ruine geschleift hatte.
45 Er spielte gar nicht schlecht; es war das Klavierkonzert Nr. 5, dem guten alten Erzherzog Rudolph gewidmet. Hundert Soldaten standen um den Pianisten herum und lauschten, die Köpfe gegen die Kälte in Decken gewickelt. Jungs mit Mädchengesichtern, denen die rissigen Ledergürtel an die Uniformen gefroren waren. Die Akkorde hallten wider wie eine Gewehrsalve und schwebten dann in die vom Schnee erstickten Häuserschluchten Stalingrads davon, und im Flug wurden sie noch liebreizender als das bunte Feuerwerk der feindlichen Raketen. Paulus hörte sie noch drei Straßen entfernt. Er wollte hingehen und sich zu der Menge gesellen, fürchtete aber, ihnen den Spaß zu verderben. Schon rauschte leise das Feldtelefon, wie ukrainische Kornfelder; es hatte einen Einbruch in seinen südöstlichen Abschnitt gegeben.
Er hielt derzeit große Stücke auf Feldmarschall von Manstein, der sich im Nothauptquartier Nowotscherkassk eingerichtet hatte. Unter seinem Befehl konnten General Hoth und die überlebenden rumänischen Verbände einige der russischen Angriffe zurückschlagen. Er hatte gehört, von Manstein sei einer der wenigen, die den Führer noch bewegen könnten, bei der Sache zu bleiben. Wie Paulus hatte er mit Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, aber am Ende hatte er die Oberhand behalten; er war in die Festung Stalin eingedrungen, weshalb der Führer ihn zum Feldmarschall ernannt hatte. Was seine Flüsterworte auf der Toilette der Wolfsschanze angeht, nun, jeder hat mal einen schlechten Tag. Nach Gehlens Einschätzung war er einer der besten Soldaten seines Jahrhunderts.
46 Deshalb würde das Unternehmen Donnerschlag sicher Erfolg haben. Bis dahin tat man, was man konnte.
Seine Offiziere baten ihn einstimmig (von der ausdrücklichen Enthaltung Schmidts abgesehen), um Erlaubnis zum Rückzug zu bitten,
was er daher tat; die Richtung würde Südwest sein müssen, in der Vorbereitung würde er den nördlichen Abschnitt schwächen müssen. Wenn der Ausbruch gelang, würden sie sich auf den verschneiten Ebenen weitaus überlegenen Feindkräften gegenübersehen. Ohne diese Probleme kleinzureden, unterbreitete er den Vorschlag dem Führer, der selbstredend jeden Ausbruchsversuch untersagte. Nun fühlte Paulus sich an Stalingrad gekettet.
Er nahm das IV . Korps aus der 4. Panzerarmee heraus, weil dessen Stellungen unhaltbar geworden waren, und stellte es in Vorbereitung des Unternehmens Donnerschlag an den
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