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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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vertraut wie immer. Er blickte auf sie herab, mit diesem scharfen Blick, in dem sie nie etwas anderes als Strenge entdecken konnte; und dann wartete er.
    Dass du ihn bei seiner kleinen Geschichte unterbrochen hast.
    Oh, sagte er und legte noch einen Scheit ins Feuer. Die über den Juden, den sie geschnappt haben.
    Er wusste, wie dieser Jude sich gefühlt haben musste, denn ihm war schon zwei Mal dasselbe passiert, das erste Mal damals 1936, als er die 7000 religiösen antinazistischen Broschüren verschickt hatte und sie ihn in einer ihrer grünen Minnas wegkarrten, durch deren kleine, quadratische vergitterte Luke rechts er Wolken, Dunkelheit und Fenster sah; dann hieß es Augen rechts und Vorwärts marsch ins Columbiahaus, wo die Schwarzhemden ihn mit nassen Peitschen folterten. Im Jahr 1938 brachte eine weitere grüne Minna ihn, weil man ihn absurderweise des Monarchismus verdächtigte, in ein Konzentrationslager, wo er rasch lernte, dem grienenden Arzt zu erzählen: Ich bin die Treppe hinuntergefallen. – Kurz, er überwand all seine früheren ideologischen Irrtümer. Es gab einen Gestapomann, der ihn befreite, aber auch sein Vater hatte geholfen mit seinem Beharren, Kurt Gerstein sei immer Antisemit bis ins Mark gewesen. Er hatte diese Wochen in Welzheim nie vergessen, seinen Urlaub, wie sie es nannten; vor allem das, wovon er nie jemandem erzählen würde, das, was die-Männer ihm angetan hatten. Das war natürlich alles damals passiert, als wir noch am Herumspielen waren, als wir sie prügelten, anstatt sie zu liquidieren. Es war einmal, da hingen in all unseren Konzentrationslagern noch Röhm-Bilder. Dann erschossen wir Röhm und machten Ernst. Wir leiteten die Aktion Reinhardt und das Unternehmen Barbarossa ein und machten Belzec auf.
    Du musst dich bei ihm entschuldigen, sagte seine Frau.
    Wie du willst, Friedel, sagte er und ging nach oben zu Ludwig Gerstein. Verdankte er seinem Vater nicht zweifach das Leben?
    Seit seinen Kindertagen hatte die Ausstrahlung seines Vaters ihn immer an das Berliner Zeughaus erinnert, eckig und mit einem rötlichen Farbton, ein riesiger strenger, mit Statuetten besetzter Klotz.
    Der alte Herr hatte sich hingelegt. Er öffnete halb die Augen und blickte seinen Sohn mit wilder Feindseligkeit an. Man konnte nichts anderes tun als sich hinknien, dem Vater die Hand küssen und ihn um Vergebung bitten: Du weißt doch, ich war schon immer ein Nervenbündel, und jetzt noch der Krieg …
    Der Vater blickte ihn mit steinerner Miene an.
    Der Sohn hatte eine Eingebung, beugte sich vor und flüsterte: Um gar nicht erst von meinem Geheimauftrag zu reden …
    Damit war der Tag gerettet. Sein Vater sagte: Ich verzeihe dir, Hans. Und jetzt wollen wir nie wieder davon reden.
    Danke, Vater. Noch einmal, es tut mir leid …
    Die Menschen wollen heutzutage so viel erreichen. Ich vertraue darauf, dass auch du dein Allerbestes gibst.
    Ja, Vater.
    Denn wer des Grals begehrte, der musste mit dem Schwerte sich hohen Preis erschwingen , rezitierte sein Vater, und Kurt Gerstein nickte unterwürfig.
27
    Und bist du auf Reisen gewesen? Was hörst du von der Lage an der Ostfront?
    Sollen wir am Kamin darüber reden, Vater? Friedel wird jetzt ihre Suppe fertig haben …
    Sag mir nur eins, Kurt, bevor wir hinunter zu den anderen gehen. Nach allem, was du gehört hast – wird Paulus die Stellung halten können?
    Schwer zu sagen, sagte Gerstein, um sich dann, als er den nackten Schrecken auf dem Gesicht seines Vaters sah, sofort zu berichtigen: Der Führer hat uns versprochen, dass die Festung Stalingrad nie fallen wird.
    Du hast recht, sagte sein Vater nach einer Pause. So muss man heute denken. Jetzt wollen wir hinunter zu den anderen gehen.
    Als Elfriede sie die Treppe herunterkommen sah, Arm in Arm, lächelte sie vor Freude, und er dachte plötzlich: Wie ähnlich sie Bertha sieht!
    (Nun, Bertha war ja auch ihre Schwester.)
    Seine drei Kinder, blass und mutlos, aßen schweigend ihre Suppe. Friedel sagte: Jetzt musst du uns erzählen, wo du gewesen bist, Kurt.
    In Minsk. Habt ihr meinen Brief bekommen?
    Noch nicht, sagte sie ungerührt.
    Ist es stark zerbombt?, fragte sein Vater.
    Ich fürchte schon. Über diesen Ort lässt sich nicht viel Gutes sagen.
    Nun, er stand ja auch so lange unter jüdischer Herrschaft. Sind die Juden alle geflohen oder machen sie noch Ärger?
    Sie sind evakuiert worden, sagte er verbittert. Die Suppe ist ausgezeichnet.
    Sein Sohn Christian sagte: Vati, ich habe gehört,

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