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hatten sie eine gemeinsame Bekannte namens Ekaterina im Moskauer Wochenschau-Studio. Weder Elena noch Tschuikow kannten sie.
Das Wichtigste ist, kein Detail zu übersehen, sagte Karmen. In Sta
lingrad habe ich versucht, mir alles einzuprägen – es nicht nur aufzunehmen, sondern mir einzuprägen! Und ich weiß, wenn wir einmal in Deutschland sind, werde ich es genauso machen.
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Dann prägen Sie sich aber auch die Zweite Front ein!, erwiderte der Kommissar mit einem hässlichen Glucksen.
Karmen zwinkerte bestürzt. Plötzlich stand ihm eine gefrorene Leiche vor Augen, die mit verzerrtem Gesicht im Schnee lag, vor einem Panzerwrack am Horizont.
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Tschuikow bat seine Gäste mit vor Erschöpfung leichenblassem Gesicht, ihn zu entschuldigen, er brauche Ruhe. – Mit anderen Worten, fügte er hinzu, ich bin fest entschlossen, den Kampf fortzusetzen!
Alle lachten, und Karmen hob die Hand zu diesem lustigen Victory-Zeichen.
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Ein paar Tage darauf brach Karmen mit einer kleinen Abteilung auf, darunter der Panzerkommandant mit dem Stachelschwein, um die versprengten Reste einer Panzergruppe – allerhöchstens fünfzig Mann, die sich in den Wäldern zwischen den Wracks ihrer Panzer versteckten – vor laufender Kamera gefangen nehmen zu können. Verschneite, mit Baumstämmen verbarrikadierte russische Straßen, gefrorene Leichen, das war alles Schnee von gestern. Aber Roman Karmen würde es bedeutsam aussehen lassen. Außerdem würde er seine Termine einhalten.
Er hatte gehofft, Tschuikow persönlich filmen zu können, aber der Mensch wirkte zu übermüdet. Es würde einfacher sein, den Befehlshaber der Front zu filmen, Malinowski, den Karmen schon von der Verteidigung Madrids her kannte. Und der Kommissar, der außergewöhnlich freundlich wirkte, hatte versprochen, ihm einen von Tschuikows fotogensten Untergebenen vorzustellen: Generalmajor N. F. Batjuk von der 79. Gardeschützendivision.
Er sehnte sich nach Tschuikows Anerkennung. Er vergötterte ihn. Tschuikow hatte den Faschisten einen eisernen Schlag versetzt! Immer auf dem Sprung, in gebücktem Lauf würde Karmen den Krieg über ver
suchen, vor Menschen wie Tschuikow zu bestehen. Haben Sie je Dsiga Wertows sieben Filmrollen lange Liebeserklärung an die Frauen in unseren sowjetischen Streitkräften gesehen?
13 So etwas wollte auch Roman Karmen erschaffen. Und wenn er es nicht auf sieben Filmrollen brachte, dann doch auf eine. Bald würde er mit der Arbeit an seinem Film »Die Schlacht von Orlow« beginnen. (Nagelneue T-34-Panzer schwärmen über gewundene Straßenbahnschienen aus, Zivilisten laufen zwischen ihnen herum; alles drängt an die Front!) Sein Filmbericht über das Unternehmen Zitadelle machte in Worten und erschreckend waghalsigen Kameraeinstellungen anschaulich, wie effektiv die ausladenden achträdrigen feindlichen Panzerjäger »Ferdinand« mit ihren 88-Millimeter-Kanonen im Frontalangriff waren – und wie verwundbar, wenn sie von der Seite angegriffen oder von unserer Roten Infanterie überrannt wurden. Er war einer von uns; er flog sogar Luftangriffe auf den Feind. Er filmte; er legte eigenhändig den Bombenabwurfhebel um.
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Der Panzerkommandant mit dem Stachelschwein erzählte ihm eine Geschichte über irgendetwas Schreckliches, das im Jahr '41 zwischen den riesigen Panzersperren im Schnee vor Moskau geschehen war, und Karmen tat, als hörte er zu, während er geradeaus starrte und daran dachte, wie Elena ihm sanft und mit vollendeter Güte anvertraut hatte: Ich kann nicht wirklich sagen, dass ich noch Hoffnung habe. – Das bekam er nicht mehr aus dem Ohr. Und gleichzeitig war sie so gütig zu ihm; ihre Güte war so unwirklich wie die Zweite Front. – Und so ging es tief in den Wald.
Gefecht! Die Kanone stieß vor, wie die blitzartige Verbeugung eines Konzertpianisten. Aus den runden Geschütztürmen tauchten Faschistenköpfe auf; Zentauren waren sie. Fast wäre der Panzerkommandant mit dem Stachelschwein gefallen, aber wir retteten ihn. Roman Karmen filmte es.
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Währenddessen dachte Tschuikow, die Kante des Kartentisches zwischen Daumen und Zeigefinger, unablässig an Elena.
Sie brachte ihm eine Schellackplatte von Schostakowitschs Opus 40, das Tschuikow zum größten Teil romantisch und gefällig fand, auch wenn ihm manche Passage im Dritten Satz zu hoch war.
Was hatte sie nur an sich? Er hätte eine der fröhlichen großbusigen Krankenschwestern haben können, wann immer er wollte …
Dort in seiner geheimen Welt, die
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