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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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mit der Vorfreude auf un
seren nahen Sieg abzulenken, den wir gewiss spätestens Anfang 1944 erringen würden – jedenfalls wenn unsere sogenannten »Alliierten« die Zweite Front eröffneten.
    Mürrisch murmelte Karmen, die Alliierten erinnerten ihn an Elena, die immerzu Ich verstehe sagte, ohne je etwas zu tun, um die Lage zu ändern.
    13
    Dann kamen Kursk, Majdanek, Bukarest, Posen. An Karmens zerknitterter und ölfleckiger pelzgefütterter Jacke prallten alle Kugeln ab.
    Elena schaffte es natürlich nicht nach Berlin; sie sah Lina, ihre Geliebte von einst, nie wieder, ganz zu schweigen von den Ruinen und rostigen Eisenträgern im Nebel am Teltowkanal. Was ist aus ihr geworden? Ihre Geschichte endet im selben geheimnisvollen Dunkel, in das Barcelona sich in jenen Nächten hüllte, in denen die Legion Condor kam – alles finster, nur ein paar kleine blaue Nachtlichter leuchteten! So sah es auch in Elena Konstantinowskajas Herzen aus.
    Was die Zweite Front anging, wen kümmerte es noch, als unsere Alliierten dann endlich die Zweite Front eröffneten? Es stimmt, sie sind zu Tausenden an den Stränden der Normandie gefallen. Aber da waren wir schon zu Hunderttausenden gefallen. Außerdem steht objektiv fest, dass sie nur aus dem einzigen Grund noch in Frankreich einfielen, um uns den totalen Sieg über Deutschland zu nehmen.
18
    Nach der Kapitulation der Faschisten, ungefähr drei Wochen also, nachdem Tschuikow zum zweiten Mal zum Held der Sowjetunion ernannt worden war, enteigneten wir sofort alles, was in unserem Sektor von Wert war – Werkzeugmaschinen, Armbanduhren, Vorhänge und natürlich jede Frau, die einem unserer Rotarmisten gefiel (mit einer Brandgranate konnte man sie hübsch aus ihren Kellern treiben).
19 Sogar die Straßenschilder montierten wir ab – warum auch nicht? So ging es dahin, den ganzen ersten Winter hindurch. Im Februar 1946 zog ein großer Sturm durch die Trümmer, danach fand einer von uns eine Seite von einem Brief im Schnee, vielleicht war es auch gar kein Brief, nur ein Blatt Papier, vollgekritzelt mit verrückten russischen Worten, besonders der Name Elena tauchte immer wieder auf – völlig irre! –, und weil
er nicht lesen konnte, brachte er es ins Hauptquartier, weil es sich ja um eine antisowjetische Provokation handeln konnte. Der Genosse General Tschuikow hat es natürlich nie zu sehen bekommen. Für solche Lappalien war er viel zu wichtig. Aber vielen von uns ist es durch die schrundigen Hände gegangen. Nur unser Kommissar war schlau genug, Roman Karmens Handschrift zu erkennen.

Unternehmen Zitadelle
    Das deutsche Verfahren ist letzten Endes im deutschen Charakter begründet, der – entgegen dem törichten Schlagwort vom Kadavergehorsam – stark individuell geprägt ist und dem – vielleicht als ein germanisches Erbteil – eine gewisse Freude am Risiko innewohnt.
    – Feldmarschall von Manstein (1955)
1
    Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun.
    – KZ -Kommandant (1933)
2
    1
    In Dreierreihen marschierten wir durch die filigranen Stadttore Prags, mit präsentiertem Gewehr und Gesichtern, so hart wie die Adler auf der Moltkebrücke. Aus Berlin kamen wir, durch das Brandenburger Tor; von hinten warf die Viktoria auf der Siegessäule uns goldenes Licht auf die Helme. (Habt ihr sie je gesehen, mit den großen geriffelten Axtblättern als Flügeln, dem erhobenen Zepter, dem wogenden Gewand, dem hochgereckten Lorbeerkranz, alles aus Gold? Sie ist unsere Adlerkönigin.) Auch aus Warschau kamen wir, in geringerer Zahl als benötigt, denn im Judenghetto war ein Aufstand ausgebrochen, und den mussten wir niederschlagen; und dennoch kamen manche von uns aus Warschau, andere aus Budapest und Bukarest; viele von uns kamen aus dem Reservistenkader hinter den Frontabschnitten in Nord und Süd; aus dem ganzen Reich kamen wir, und alle marschierten wir gen Kursk. Eben hatte Goebbels die Parole Totaler Krieg – kürzester Krieg ausgegeben, denn der Tod kam zurück zu uns und sang im Osten mit der jaulenden Stimme einer Katjuscharakete sein Lied. Der Schlafwandler, der schon die volle Verantwortung für die Katastrophe von Stalingrad übernommen hatte, war unsere einzige Hoffnung.
    So schwerwiegend der Verlust der 6. Armee auch sein mag, sagte Feldmarschall von Manstein sehr bedachtsam, der Krieg im Osten muss deshalb noch nicht unwiederbringlich verloren sein. Das Erzwingen einer Remislösung ist immer noch denkbar, wenn wir uns auf eine solche Lösung

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