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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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heimkehrte, war ich noch glücklich. Fast hätte ich dem steinernen Adler an der Fassade der Reichskanzlei die weiten, spitzwinkligen und seltsam zarten Flügel geküsst.
    Aber bei meinem Besuch auf dem Amt musste ich meinen Bericht abgeben, knallhart; und beim nächsten Mal ließen sie mich lange warten und behaupteten schließlich, der bleiche Mann sei beschäftigt. Und HAVEMANN ? Auch beschäftigt. Und PFITZNER ? Von dem reden wir auf dem Amt nicht mehr. Was, wenn ich jetzt auf einer anderen Liste stand, einer schlimmeren? Ein Agent, der mir nie begegnet war (im Rückblick glaube ich fast, dass es der ehemalige-Hauptmann KHANNI war, der sich dem Osten angedient und sich dann in die Organisation Gehlen gegraben und dabei KURT angeworben hatte), informierte mich, nicht ohne Mitgefühl, das Unternehmen ELENKA sei nicht mehr oberste Priorität, so wichtig es für Deutschlands Schicksal auch sein mochte, denn in Vorbereitung des bevorstehenden Kalten Krieges verlangten die Amis nun, dass wir die letztgültigen Baupläne der Luftwaffe für die V-Waffen aufstöberten, die unmittelbar vor der Kapitulation auf einem Dorffriedhof in einem Sarg versteckt worden waren; dies sei von nun an unsere wichtigste Aufgabe.
14 Ich sagte: Ich würde gerne wissen, ob wir je davon erfahren, wenn diese Aufgabe erledigt ist. Das Vertrauen in mich sei ungebrochen, erwiderte der Agent, aber ich müsse den Anschlag auf ELENKA ohne logistische Unterstützung ausführen.
    Schlucken Sie eine dieser Pillen!, setzte er hinzu. Sie sind neu.
    Neu? Na und?
    Sie erhöhen die Konzentrationsfähigkeit. Das ist es, was Sie jetzt brauchen, Soldat.
    Ich wollte nicht, aber seine Unterlippe zitterte, also …
    Dann ging ich; ich stieg hinab und tauchte in einer der Marmorgalerien zum Südbahnhof wieder auf; ich trat ins Sonnenlicht; ich schritt die Stufen von fast unendlicher Breite hinab, überquerte die Straße und warf einen Blick zurück auf die gewaltige rechteckige Fassade mit den beiden riesigen Uhren und dem Adler mit dem Hakenkreuz in seinen Klauen; die mit Fenstern durchsetzten steinernen Arme des Bahnhofs erstreckten sich in beide Richtungen, so weit mein Auge reichte. Ich fühlte mich geborgen; ich schien wieder im Vollbesitz meiner Kräfte zu sein. Wenn nur mein lieber Freund Schostakowitsch mich so sehen könnte! Endlich wäre er stolz auf mich. – Immer höher schwangen meine Sinne sich auf, bis ich hinter dem Vorhang erwachte, in einem ehemaligen Krankenhaus in Berlin-Karlshorst. Falls Sie es noch nicht wissen, werde ich Ihnen jetzt sagen, dass die Menschen heute nicht mehr dort hingehen, um gesund zu werden.
    Auf einem extrem langen Sofa saßen drei großgewachsene Männer in blauen Uniformen, verglichen Partituren von Schostakowitsch und Wagner und hakten sie mit Rotstiften ab. In ihrer Mitte schlief eine Frau in einem blauen Kittel. Als sie aufwachte, merkte ich, dass es Elena Kruglikowa war, aber vielleicht war es in Wahrheit Klawdija Schulschenko. Endlich ein Lichtstreif am Horizont. Sie war eine »Julia«-Agentin! Sie wollten mich von Elena Konstantinowskaja ablenken! Das musste von Anfang an das Ziel gewesen sein. Gegen die Reize der Kruglikowa wappnete ich mich mit dem abschreckenden Beispiel jenes »Romeo«-Agenten WALTER , der einst LOLA verführt und dann geheiratet hatte, die zufällig auch als Sekretärin im westdeutschen Auswärtigen Amt arbeitete. Arme LOLA ! Ich kenne sogar ihren Klarnamen. Eines Tages zog die Organisation Gehlen, vielleicht war es auch die Central Intelligence Agency, ihren sowjetischen Agentenführer an Land, MAKS , der daraufhin überlief und die Eheleute verriet. Als sie verhaftet wurde und man ihr das Geständnis ihres Gatten zeigte, er habe sie aus ideologischen Gründen geheiratet und nicht aus Liebe, erhängte sie sich in ihrer Zelle.
15
    Ein Gläschen Wasser mit den Vernehmungsbeamten, ein Prosit auf die Freundschaft mit Cognac, ein oder zwei Kaviarhäppchen, so geht
das eben. Das waren die Leute, die mitten in Westberlin den Juristen Walter Linse entführt und in Moskau aufgehängt hatten.
16
    Wenn Sie korrekt mit uns zusammenarbeiten, werden wir immer gute Freunde bleiben, versprach der größte der Männer, der den Decknamen GLASUNOW trug.
    Die Frau, die vielleicht die Kruglikowa war, öffnete die Augen, setzte sich auf und lächelte mich mit einem Was-ist-schon-ein-bisschen-Sex-unter-Genossen? -Blick an. Ich schüttelte den Kopf, und sie löste sich in Luft auf.
    Dann gaben sie mir eine schöne

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