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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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Mann gestürzt, dem Genossen Honecker.

Das werden wir nie wieder erwähnen
    Überall aber, wo man sich zur Nachtzeit dem Thorastudium ergibt, da geht ein Faden aus von jenem verborgenen Lichte und zieht sich über die der Thora Beflissenen.
    – Der Sohar (13. Jahrhundert)
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    Jedes Mal, wenn sie Nein zu ihm sagte, war dieses Nein so formvollendet wie ihre Wangenknochen.
    Da war etwas angenehm Unverrückbares, beruhigend Gnadenloses an ihr – still und ruhig, schlank und unbestechlich, daher letztendlich zerbrechlich; da sie sich zu gut war, um sich zu verbiegen, wäre sie zerbrochen, hätte sie jemals ja gesagt; deshalb konnte er ganz bis zum Schluss stolz auf sich bleiben, dass er ihre Ablehnung mit aller Würde akzeptiert hatte, die er aufbringen konnte (wenn er auch manchmal ins Schwanken gekommen war), und konnte sie dafür, dass sie sich ihm nicht ganz ergab, nur noch umso mehr lieben und achten. Sie genoss seine Wertschätzung, also musste diese Wertschätzung sich auch auf die Intimität erstrecken, die sie mit dem anderen Mann teilte und die seine Berührung nur gestört hätte. Er liebte sie; er würde ihr keinen Schaden zufügen.
    Er bat sie, ihm wenigstens eine Fotografie zu geben, und sie blickte ihn über den Tisch hinweg an und sagte dann leise: Nein.
    Nicht lange darauf wurde sein Cellokonzert Nr. 1 in Es-Dur uraufgeführt, da konnte er so viele Frauen haben, wie er wollte, nicht dass er in seinem Alter immer gekonnt hätte, Sie wissen schon, und so gab es da vierzig Minuten nach dem peinlichen Studiotermin mit Rostropowitsch eine Frau, die ihn bald mit Küssen bedeckte, in dem breiten Hotelbett auf ihm lag, ihn ganz festhielt, so dass ein wenig von seiner Einsamkeit wich, er aber im Kopf noch klar genug blieb, um keine Fehler zu begehen, solange er nur rasch und logisch genug herausfand, was zum Himmel er wollte; diese Frau, diese nette Frau, die ihn mochte und ihm dies schon nach vier kurzen Stunden in seiner Gesellschaft anvertraut hatte, von denen sie ihn drei nur quer durch einen lärmenden
und überfüllten, vor lauter Schnapsgläsern glitzernden Raum angeblickt hatte (meine liebe Dame, danke für Ihre, Ihre, Sie wissen schon, aber ich, ich, nun, ich habe ein einfaches, kleines Thema genommen und ganz einfach, einfach mein Bestes getan, es zu entwickeln!),
2 war nun auf alle anderen Frauen eifersüchtig, die Teil seines Lebens sein mochten (von der einen mit dem ach so dunklen Haar erzählte er ihr nie); diese Frau, die nun auf ihm lag, konnte ihm vielleicht helfen; denn was er brauchte, war etwas Geschlechtliches, damit er sich von einem Teil seines Begehrens für die Frau mit dem dunklen Haar erleichtern und so die Belästigung, die seine Leidenschaft für sie darstellte, abmildern konnte, obwohl ich nicht exakt Belästigung meine, ich meine den Schmerz, den Kummer, ja das regelrechte Leid, denn sie hatte ihn gern; und da er ihre Gefühle, sozusagen, erwiderte, durfte das Geschlechtliche, das er nun bei der Frau suchte, die auf ihm lag, nicht zu geschlechtlich werden, denn er wollte in seiner Treue zu der Frau mit dem ach so dunklen Haar nicht wanken, sie nicht betrügen, deren ungemachtes Doppelbett (damals war sie noch mit R. L. Karmen verheiratet) er einst unter Höllenqualen betrachtet hatte (nicht aus Eifersucht, nur aus einer Empfindung heraus, die wir jedoch nicht Verlust nennen können, da er kein Fitzelchen mehr von ihr besaß, das er hätte verlieren können), die er einen Augenblick lang irrtümlich für unerträglich gehalten hatte. Das war vor Ninas Tod gewesen. Und jetzt war die dunkelhaarige Frau mit dem Professor Vigodski verheiratet. Er trug es mit Fassung; er komponierte ein Streichquartett. Später würde er die dunkelhaarige Frau anrufen – oh, wie er Telefone liebte! Dann heiratete er Margarita, die in Grenzen ihr Bestes tat, Ninas Platz einzunehmen; sie war nicht sehr, nun, Sie verstehen schon. Also bat er die Frau, die auf ihm lag, ob sie ihm wohl den Gefallen tun würde, ihm die zarten Finger um die Kehle zu legen und ihn dann ein klein wenig zu würgen, dann ein wenig stärker, was sie unter vielem Lächeln, Flüstern und langen Küssen liebevoll tat, wobei sie ihm versicherte, es mache ihr nichts aus, wenn es das sei, was er brauche, und weil niemand ihr gesagt hatte, wie gefährlich es war, ging sie weiter, als Galina Ustwolskaja je gegangen war, weiter als seine erste Liebe, Tatjana Gliwenko, und sogar weiter als die andere, seine Dunkelhaarige, die ihn

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