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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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er schlief, in die Arme, aber im selben Augenblick, da er sie zu reiten begann, prestissimo con moto, falls man ihn gefragt hätte, sah er, wie ihn das Gesicht der Frau anblickte, die er liebte, mitten aus dem Fleisch der Stellvertreterin, das so weiß war wie Pauspapier, so wenig verhüllte es das angespannt zuschauende und zuhörende Gesicht der dunkelhaarigen Frau mit seinem nur ansatzweise traurigen Viertellächeln aus ach so roten Lippen, was sein Begehren in einen Irrsinn verwandelte, der sich nur noch erstickt ausdrücken ließ, durch einen Kniefall, wenn sie nicht da war und sich von seinen Gebeten belästigt fühlen konnte; ja, so wenig konnte das fremde Fleisch die ach so dunklen Haare verbergen, die es durchglühten; und so verdorrten ihm die Hände und fielen ihm vom Leib.
    Und so lag sie, die er liebte, nicht direkt zwischen ihnen, sondern jen
seits von ihnen, realer noch als er selbst oder diese andere, in der er nun war; selbst mit geschlossenen Augen konnte er nicht anders als ihr Gesicht sehen, wie es ihn unverwandt aus dem Fleisch der anderen Frau anblickte; ihr Blick, unerschrocken und traurig, ließ nicht von ihm ab; es war gerade so, als säße sie neben ihm auf dem Sofa; er müsse nichts vor ihr verbergen, hatte sie gesagt, er könne ihr alles sagen …
    Er machte das mollige Mädchen sehr glücklich, dankbar gar, und das war doch etwas; etwas, das ihm die Einsamkeit ein wenig nahm, und etwas, das um seiner selbst willen gut war.
    Dann traf er die Frau mit dem ach so dunklen Haar.
    Wie geht es deiner Tochter, Elena?
    Gut, danke der Nachfrage …
    Dann sagte er ihr: Ich glaube, du versuchst, mich nicht zu, sozusagen, lieben, aber ich, ich glaube doch, dass du mich trotzdem liebst.
    Was willst du, Mitja? Das ist so lange her …
    Und immer wenn du so tust, als wären wir nicht mehr zusammen …
    Das sind wir auch nicht.
    Oder als wären wir nie zusammen gewesen, wo wir doch in Wirklichkeit …
    Sie wandte sich ab.
    Dabei hast du doch, na ja. Kürzlich bin ich an dieser Datscha in der Nähe von Luga vorbeigekommen. Du hast deine Initialen hinter das Kopfteil des Bettes gemalt, falls du dich noch daran erinnerst, und mir gesagt, ich dürfe nicht hinsehen, also habe ich, ich dieses Mal, und siehe, das Herz, das du gemalt hast, ist noch da, es hat die Deutschen überlebt.
    Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich bin nie dort gewesen; ich kenne dich kaum …
    Genau das macht mir Hoffnung, meine liebe Elena, wenn du, ja, ja, ja, es tut mir so leid, dass du jetzt, bitte vergib mir.
    Bei ihrer nächsten Begegnung bat er sie wieder um ihre Fotografie, und sie sagte nein; beim nächsten Mal flüsterte er: Hast du ein Foto für mich?, und Elena lächelte ; sie lächelte träge und sagte: Vielleicht.
    Nacht auf Nacht lernte er jene unklare Grenze besser kennen, die auf jenem Foto zwischen ihrem gelblich-elfenbeinweißen Gesicht und ihrem Haar verlief, ihrem ach so dunklen Haar, das es bis auf die Höhe ihrer Unterlippe einrahmte, so dass ihre Schläfen und ihre Wangen sich
zu Gold und Schwarz zugleich vermengten, zur Essenz der Tigerin, während das weiße Licht, das zur Rechten ihres Gesichtes eingefroren auf jedem gelockten Haar lag, einen eher zebrahaften Kontrast bildete. Wenn er doch einfach, nun ja, oder wenn sie sich allein mit ihm in Komarowo treffen könnte, was natürlich nicht in Frage käme, dann … Margarita wäre es egal, solange er … Sie würde hinterher sogar das Bett machen! Ach Elena, du hast so ein Glück, dass du mich nicht geheiratet hast.
    Sie lächelte ihn an, das Lächeln machte ihr die dunklen Augen schmal, ein Lächeln, das ihn zu sehen und zu kennen schien, obwohl sie einander in dem Jahr, als das Foto aufgenommen worden war, noch nicht begegnet waren; er war noch nicht einmal mit Nina verheiratet gewesen; das Lächeln schien zu sagen: Ich akzeptiere deine Liebe und erkenne sie an, auch wenn ich nie die Deine sein werde; ich werde dein Firmament sein; du wirst immer zu mir aufblicken und mich sehen können; ich werde ewig auf dich herablächeln.
    Natürlich war sie viel jünger gewesen, als sie so glücklich, liebevoll und aufrichtig gelächelt hatte, mit ihren makellosen roten Lippen und makellosen weißen Zähnen – wie kann man ein Lächeln beschreiben? Es hat ja jeder einen Mund! (Lebedinski würde das verstehen. Aber er konnte niemandem davon erzählen, nicht einmal Lebedinski. Das hatte er ihr versprochen.) Und ihr Haar, ihr dunkles Haar, das sie inzwischen

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