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Europe Central

Europe Central

Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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abstreiten? Daher, erklärte er ihr, liebe sie ihn wahrscheinlich noch, zumindest bis zu einem gewissen Grad, und genau deshalb habe er sie nachts so spät noch angerufen, um ihr zu sagen, wie sehr er sich gerade in diesem Hotelzimmer nach ihr sehne, danach, dass sie auf ihm läge und ihn küsste und küsste, worauf sie am folgenden Tag, als Rostropowitsch ihn nach Komarowo gefahren hatte, geantwortet hatte, indem sie ihn dort anrief (er hatte ihr seinen Reiseplan
gegeben, mit allen Hotels, Unterkünften und Nummern, besonders der seiner Schwester Maria) und ihm mit ihrer weichen, festen Stimme auseinandersetzte, sie wolle nicht mehr, dass er ihr solche Dinge ins Ohr flüstere, nie wieder, denn sie seien zu traurig.
    Der Schmerz, den ihm das bereitete, ließ sich fast nicht ausdrücken, aber nur fast; musikalisch findet sich immer ein Weg, das zu, wie soll ich sagen. Er würde sie nie »haben« können, so wie er sie in einem leeren Raum auf sich liegen haben und von ihr festgehalten werden wollte, auch nicht eine einzige Stunde lang und schon gar nicht für immer und ewig. Selbst in der Philharmonie wagte er es nicht, falls Sie wissen, was ich meine, irgendwie das Risiko einzugehen, sozusagen auffällig zu werden. Zur Uraufführung im vergangenen Oktober hatte er ihr Eintrittskarten geschickt. Es war schön, dass die beiden gekommen waren; Vigodski hatte ihn mit seinem seltsam französischen Lächeln beehrt. Wenn sie doch nur, nun, aber er selbst musste neben Margarita sitzen, die sich wirklich aufgedonnert hatte, die kleine … Manchmal wusste er kaum noch, warum er … Unweigerlich ließ sich im Publikum die Achmatowa ausmachen, gewöhnlich in Begleitung ihrer Freundin S. B. Tomaschewskaja. War ihr Sohn noch immer fort ? Die arme Frau; die arme Frau! Sie war wirklich sehr, nun, Sie wissen schon. Er machte einen Bogen um die beiden Damen, weil er fürchtete, besonders die Achmatowa könnte zu viel über seine Geheimnisse erfahren haben. Da, in der vierten Reihe, saß die Dunkelhaarige; sie lächelte ihrem Gatten zu, unpersönlich, wie er hoffte, dann legte sie ihm leider die Hand auf die Schulter. Warum konnte sie nicht wenigstens …? Es war einmal, in einer Lindenallee in Zarskoje Selo, da hatten sie einander auf einer Bank geküsst, und dann hatte sie ihm den Kopf an die Schulter gelegt, und ihr Haar, mein Gott, ihr langes, dunkles Haar. Und nun tat sie mit Vigodski dasselbe, das fand er wirklich sehr … Als er einsam auf den Proben in Leningrad saß, wünschte er sie sich immer neben sich, aber das wäre natürlich besonders, sozusagen, demonstrativ gewesen. Wenn Glikmann vielleicht wieder als Zwischenträger fungieren könnte, würde sie vielleicht wenigstens irgendwie, also. Aber selbst das wäre unmöglich; eine Seite, die er besonders an ihr bewunderte, war, wie leise und unwiderruflich sie nein sagen konnte. Nina war genauso gewesen. Andererseits »hatte« er Elena auf jede andere nur erdenkliche Weise; er konnte sie lieben; er konnte über sie nachdenken; besser noch, gerade
wie die geschwungene Blaue Brücke uns den Weg zu den Kuppeln der Isaakskathedrale öffnet, hilft uns das Opus 40 über die kalten, dunklen Wasser der Realität zu Elena hinüber; Ljalka, sie hatte es gern, wenn ich sie so rief, als wir noch … Elena, hilf mir! Elena, ich halte das nicht aus! Aber du bist die Einzige, die mich nie trösten darf, genau deshalb, weil du auch die Einzige bist, die es könnte. Ist das nicht kurios? Dieses Dilemma habe ich oft mit einem ostinato wiedergegeben. Heute Abend werde ich …
    Wie gesagt, wenn er in Leningrad übernachtete, traf sie sich fast jeden Tag mit ihm, und er konnte ihr in die schönen Augen blicken und nah genug bei ihr sitzen, dass er sie hätte berühren können, unter der Bedingung, dass er es nicht tat; er konnte ihr alles erzählen; sie erzählte ihm manches; kurz, solange er ihr alles sagen konnte, konnte er sie auch immerzu stolz weiter lieben und bei ihr sein. Aber jetzt behauptete sie, dass sie nie zusammen gewesen seien und er ihr nicht alles sagen dürfe. Deshalb verspürte er diesen erstickenden Schmerz.
    3
    Als das üppige, mollige Mädchen, das sogar dunkelhaarig war, anfing, ihn mit ihrer paddelförmigen Zunge tief zu küssen, strich er ihr über das Haar und begehrte sie, das heißt, er begehrte sie nicht um ihrer selbst willen; er musste einfach nur im Körper irgendeiner anderen Frau verweilen; also schloss er sie in einem jener leeren Doppelbetten, in denen

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