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Europe Central

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Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
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ich wollte … Als die Neunhundert Tage begannen und Maxim nachts vor Hunger weinte, habe ich mir geschworen, ihn in die Siebente einzuschreiben. Und das tat ich auch; ich habe sie für ihn geschrieben. Dies ist meine letzte Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass ich seine Tränen
bestimmt nicht vergeudet habe, weil … Die Tonart der Tränen war as-Moll, das werde ich nie vergessen. Und meine Mutter hat gesagt … Was ist mit Rodtschenko? Er war ein Einfluss, ein jugendlicher Einfluss zumindest. Nun, da ich … Rodtschenkos leere Rechtecke aus Holz, die in anderen Rechtecken sitzen, jedes auf eine andere Ebene gedreht als das daneben, na, das müssen Gefängniszellen sein! Noch mehr abstrakte Bildhauerkunst für mein, für mein sogenanntes »Opus«. – Oje, ach ja, fast hätte ich das Unternehmen Feuerzauber vergessen! Da ist Elena nämlich dem edlen Ritter Roman Lasarewitsch begegnet. (Dimitri Dimitrijewitsch, hatte der Ritter sich herabgelassen, ihm zu raten, meiner Ansicht nach geht es darum, diese Schreie zu nutzen , um unseren antifaschistischen Hass zu stählen und diese Schrecken im Namen des Friedens zurückzuweisen. Man darf nicht zu viel Zeit auf der dunklen Seite verbringen.) Und Spanien natürlich. Wo Roman Lasarewitsch und sie … Unsere privaten Tragödien sind uns näher, weil wir alle Feiglinge und Schweine sind.
    Seine Freunde vermuteten, dass er zu viel trank. Seinen ganzen Aufenthalt in Ostdeutschland über kippte er Schnaps weg, mit seiner Dolmetscherin oder allein. (Einmal lächelte sie ihn an, und ihm fiel das kindliche Lächeln einer jungen Scharfschützin wieder ein, die ihm irgendwo begegnet war, in Kuibyschew vielleicht. Dann hörte sie auf zu lächeln. Sie senkte das makellose weiche Gesicht.) Manchmal trank er, bis er einschlief. Wenn er aufwachte, griff er nach dem Glas und stammelte seinem Spiegelbild zu: Im Großen und Ganzen bin ich degeneriert.
    Es war ein kühler feuchter deutscher Sommer. Er wollte am Ufer der Elbe im Gras sitzen und einfach den Schiffen zusehen und, sozusagen, Atem holen, aber dazu war keine Zeit, weil sie ihm andauernd Filme von Gräueltaten zeigten. Den Fall Weiß konnte man nicht auslassen, aber er wusste noch nicht, wie, nun, vielleicht als Largo, und vielleicht ließ sich aus ein paar Appoggiaturen noch ein wenig Verbitterung quetschen … Dann brachten sie ihn wieder ins Hotel. Die dunkelhaarige Dolmetscherin war heute krank. Er wusste nicht, ob er Bezug auf das Unternehmen Zitadelle nehmen sollte oder nicht. Da ihr Bruder vor Kursk gefallen war, warum nicht? Sie war eine hübsche Frau, wenn auch für seinen Geschmack nicht füllig genug. Mal sehen, was habe ich während des Unternehmens Zitadelle gemacht? Ich kann mich noch
an Roman Lasarewitschs Wochenschaubericht erinnern, das muss jetzt schon siebzehn Jahre her sein, in jenem Kinopalast, wo Elena und ich früher immer, immer, wie lautete noch gleich der Titel? »Die Schlacht von Orel«. Nein, der Kinopalast kann es nicht gewesen sein, weil … Ein Tiger-Panzer schnarrt durch den Schlamm und in einen Fluss hinab; das Wasser schäumt um die Panzerketten; er schwimmt wie ein stattliches Krokodil, gräbt sich in den Schlamm am anderen Ufer, richtet das Geschützrohr auf und knirscht davon, und die deutschen Faschisten stehen gelassen auf seinem Rumpf, als ritten sie einen Wal; dann schwenkt Roman Lasarewitsch, der bestimmt seine ölfleckige, pelzgefütterte Jacke trägt, und zeigt uns die Besatzung einer unserer Einhundertzweiundzwanziger: Vier, drei, zwo, eins, Feuer! Ich gebe gerne zu, dass er tapfer war. Ich wäre sogar viel lieber er. Na und? Das Schwein, wissen Sie, obwohl es im Grunde ich war, der … Der Tiger-Panzer explodiert, zu einer Musik, die von D. D. Schostakowitsch hätte stammen können! Wie, sozusagen, heroisch ! Schwenk auf ein Weizenfeld mit einer getarnten Panzerabwehrstellung; Schwenk auf Sprengfallen, Schwenk auf Generäle der Roten Armee in ihren langen Ledermänteln, mit ihren Ferngläsern. Später werden wir das böse FREYA -Netzwerk sprengen! Hatte sie ihn schon verlassen? So wie da all unsere Flugzeuge über ihre Panzer flogen, hat der Film mich schon damals an eine Partitur erinnert, aber eher für Orchester als für ein Streichquartett. Na und? Ich werde dafür sorgen, dass alles im Opus 110 steckt, denn es wird das letzte Mal sein, dass, sozusagen, ich darin bin. Streng musikalisch betrachtet sollte Zitadelle ein unbedeutendes kleines Zwischenspiel sein. (Er stellte

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