Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Europe Central

Europe Central

Titel: Europe Central Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William T. Vollmann
Vom Netzwerk:
Leitmotive im Ring beschweren! Natürlich wird Verena Wagner Sie dann nicht mehr anlächeln …
    5
    Wenn ich an das Unternehmen Feuerzauber zurückdenke, kommt mir Verena Wagner in den Sinn, in ihrem taillierten weißen Kleid (so weiß wie Baumwolle selbst, wie ein Wölkchen Fliegerabwehrnebel); sie schenkte Tee ein, ihrem Onkel Wolf, der auch unser Onkel war (Meyers Lexikon, 1938: Er ist nicht Diktator eines rechtlosen, unterdrückten, sondern Führer eines gläubigen Volkes, das ihn mit seinem vollen Vertrauen trägt und ihn mit seiner ganzen Liebe umgibt …) ,
5 und ihr Handgelenk zeigte Sequenz und Variation; [ 16 ] und ich weiß nicht warum, aber ich vergegenwärtige mir auch den perfekten Lichtschein der Flak-Scheinwerfer auf der Mauer aus Hakenkreuzstandarten und den langen, schimmernden Phalanxen der Männer aus Stahl; das war der Berliner Nazi-Aufmarsch vom 1.5.36, ein halbes Jahr bevor Verena Wagner den Feuerzauber-Tee kredenzte; Franco war noch ein Niemand; selbst nachdem das Zauberfeuer Spanien umschlossen und der Schlafwandler diese Akte ein für alle Mal geschlossen hatte, war das Leben noch wie früher; die Briten glaubten noch immer an Frieden für unsere Zeit! Wie einst Siegfrieds Eheweib.
    Die mehrdeutigen, fast tonartlosen Akkorde des Feuerzaubers haben schon viele Zuhörer in die Irre geführt. Die Tonfarbe ist rot und orange; alles scheint heiter; wie die Amis sagen: Nur die Herdfeuer brennen. Condor-Legionäre sangen am Lagerfeuer; an einem kleinen weiß gedeckten Tisch gab Franco Orden aus. Barbarossa lockte; Verena Wagner schlenkerte hinreißend mit dem Handgelenk; sie schenkte uns einen Krieg ein, dessen verschiedene Fälle, Manöver und Unternehmen so fest sitzen würden wie die Barette der sauberen jungen Männer unserer Legion Condor. Und so erfüllte sich das Leitmotiv.
    ----
    [ 16 ]  In der alten Zeit ließen die Könige die Hörner ihrer Lieblingsfärse vergolden, und es würde mich nicht wundern, wenn ihr goldener Armreif ein Geschenk von Onkel Wolf gewesen wäre.

Ich trocknete meinen salzigen Zopf
    Ich trocknete meinen salzigen Zopf
Auf dem Stein eine Werst weit vom Land.
    – Anna Achmatowa (1914)
1
    1
    Am 23. August 1942, als die Stukas und Ju-88 der Luftflotte 4 Stalingrad bombardierten, eilten unsere Komsomol-Angehörigen den Bürgern zu Hilfe, die zwischen den Angriffswellen heraus kamen, um Leichen und Schutt zu räumen. Wer einen Toten wiedererkannte, wurde sofort von den Komsomolsken umarmt. So leisteten sie einen wertvollen Beitrag zu unserer Verteidigung; ich habe nichts gegen den Einsatz von Kindern, wenn sie gebraucht werden. Und im September des Vorjahres hatte A. A. Achmatowa eine Radioansprache gehalten, um die Tapferkeit der Frauen Leningrads zu besingen, die schon zu Tausenden starben. Angesichts ihres Ruhms (der einzige Grund für Strafaufschub) muss man dieser Sendung dieselbe Bedeutung zusprechen wie dem Auftauchen von zehn Stalin-Panzern an der Front.
2 So hat es mir jedenfalls der Genosse Schdanow gesagt. Aus meiner Perspektive wäre es das Richtige gewesen, sie verschwinden zu lassen und dann den Faschisten die Schuld zuzuschieben. (Eine deutsche Granate ist eingeschlagen, brauner Rauch ist aufgestiegen.) Aber auf mich hört ja keiner. Ich will gerne zugestehen, dass konsequentes Vorgehen besser ist als gar keins, weshalb wir verlangten, dass Schostakowitsch seine 7. Sinfonie vollendete, der Welt heute als die »Leningrader« bekannt. Im Dezember erfüllte er diese Aufgabe mit Erfolg. Auf persönliche Empfehlung des Genossen Schdanow haben wir das Schwein sogar ausgeflogen und seine Familie noch dazu. Der Achmatowa wurde dieselbe Behandlung zuteil. Wie der Genosse Schdanow mir gegenüber anmerkte, würden wir mit ihr später fertigwerden.
    Sie galt im Bett als eher sonderbar, will sagen: exotisch, vermutlich wegen ihrer allseits bekannten Fähigkeit, sich das Bein hinter den Kopf zu haken. Sie ahnen ja nicht, was sie mit A. Lourie anstellte. Und dabei war sie genauso für ihre kühle zurückhaltende Höflichkeit berühmt. O,
Eis wäre in ihrem Mund nicht geschmolzen! Deshalb ist meine Aufgabe so wichtig; ich stelle diese Menschen bloß! Ich habe eine Zeichnung von ihr gesehen, die wir hätten beschlagnahmen und im Ausland verkaufen sollen; die adligen Libertins, die man sich im Westen noch immer hält, hätten genug dafür bezahlt, um ein Waisenhaus oder ein landwirtschaftliches Kollektiv damit auszustatten. Pjotr Alexejew hat mir erzählt, die Zeichnung

Weitere Kostenlose Bücher