Europe Central
Promiskuität im großen Stil! Pjotr Alexejew, der, auch wenn er es nie zugeben wird, bis heute in sie verliebt ist, kapriziert sich darauf, dass er jedes Mal den Fliederduft ihrer Zöpfe in der Nase hat, wenn er wieder »Nah am Meer« liest. Er, Majakowski und Dutzende andere – was ist mit unseren russischen Männern los?
Schostakowitschs Innenwelt war ein Bunker, in dem er einen Dauerangriff aussaß. Der Grundriss liegt mir vor. Die Tatsache, dass jeden Augenblick eine ihrer Achtkommaachter oder eines unserer Sonderkommandos durchbrechen konnte, prägte die Beschaffenheit seiner Umgebung.
Die Welt der Konstantinowskaja war ein von Mauern geschützter Garten mit einem versiegten Springbrunnen darin. Ein Mal war das Wasser aus dem Springbrunnen in die Luft geschossen, und die Bäume hatten Blüten und Früchte getragen – nur ein einziges Mal. Nach 1935 – was lag dort noch außer Mumien und Schutt? Aber der Grund meiner Bewunderung für sie liegt darin, dass sie, anders als die Achmatowa, ihr Selbstmitleid nicht zum Beruf gemacht hat. Braves Mädchen! Der Orden des Roten Sterns, den man ihr verlieh, warum soll ich verschweigen, dass ich damit zu tun hatte?
Die Welt der Achmatowa jedoch war die halb-öffentliche von Zarskoje Selo. Sie beschatten hieß in den ersten Jahren meines Einsatzes, an den langen, von ausgeblichenen Säulen bestandenen Ufern des Katharinenpalastes entlangzupromenieren. Das hielt mich in Form. Normalerweise zwingt dieser Abschaum uns, den ganzen Tag über auf einem Stuhl zu sitzen und zu horchen, also kann ich nicht gerade behaupten, dass ich die Achmatowa hasste. Einmal habe ich ihr sogar erzählt, ich wolle Puschkins »Ehernen Reiter« lesen. Ich bat sie um Rat. Ist es wirklich der Mühe wert?, wollte ich wissen. Und mit derselben tonlosen Stimme, mit der sie bei Bedarf ihre Gedichte rezitierte, versicherte sie mir, das sei reine Zeitverschwendung. Dafür werde ich ihr immer dankbar sein, denn ich bin ein vielbeschäftigter Mann.
Manchmal führte sie mich in die Arbeitergärten auf dem Uritski-Platz, wo ich ein bisschen in die Sonne kam. Mein Ruf als Beschatter ist hervorragend; sie hat mich nie bemerkt, auch nicht, wenn sie mir das Gesicht zuwandte, glatt und kühl wie eine Emaille-Ikone. Eine Zeit lang gehörte auch die Technische Hochschule der Roten Arme in der
Rakowa Uliza, die sie immer Italjanskaja nannte, zu ihren Lieblingszielen. Das war mir recht; Techniker kenne ich viele.
Was glauben Sie, wo sie war, als die Februarrevolution ausbrach? Auf einer Hauptprobe von Meyerhold! Es stimmt, wir sahen sie von Barrikade zu Barrikade schweben, aber nicht, um an unserem Kampf teilzunehmen, nur um zu tun, was der Dichter Sache ist: um mit dem Feuer zu spielen. Und was tat sie, als wir in der Oktoberrevolution die Macht ergriffen? Sie stand auf der Liteiny-Brücke. Wo könnte sie gewesen sein, als die weißgekleideten Stachanow-Arbeiter 1936 auf dem Roten Platz auf uns zumarschiert kamen, als das riesige weiße Abbild des Genossen Stalin ihnen von seiner Säule herab den Arm entgegenstreckte und R. L. Karmen alles filmte? Was glauben Sie? In einer gewissen Allee am Wittolowski-Kanal.
Deshalb betrübt es mich, wenn dumme Menschen behaupten, wir hätten sie »isoliert«. Als sie sich 1918 von Gumiljow scheiden ließ und diese sogenannte »Ehe« mit W. Schileiko einging (ich habe die Aufzeichnungen des Blockwarts geprüft und kann Ihnen versichern, dass ihre Verbindung nie offiziell eingetragen wurde), zog das glückliche Paar sich in das eisige Labyrinth des Scheremetjew-Palastes zurück, der mich immer an Hans Christian Andersens Märchen von der Schneekönigin erinnert: Wände aus Eis, gefrorene Puzzlestücke, Stille, Erstarrung und eine Frau mit eiskaltem Kuss! (Da sage noch einer, ich sei nicht poetisch.) In jener Zeit fielen mir das schwarze Halsband eines scheidenden Geliebten auf, ein Poem über das Weinen, ein Poem über weiße Kreuze. Aber darum geht es nicht. Was uns Sorgen machte war, dass die Achmatowa nach der Verhaftung der falschen Schlangen, die es gewagt hatten, in der Verfassunggebenden Versammlung gegen die Sowjetmacht zu stimmen, die Volksfeinde mit einem Gedicht mit dem Titel »Arroganz vernebelt euch den Geist« aufwiegelte.
4
Als sie noch jung und schön genug war zu schreiben, dass die Macht der Vergangenheit versagen könne, weinte sie ungeküssten Lippen nach. Und als unsere Revolution bewies, dass die Vergangenheit sogar gebrochen werden konnte? Da
Weitere Kostenlose Bücher