Eva Indra
Hurrikans kalte Luftmassen aus unglaublichen Höhen zu sich herunter, um diese gefrorenen Moleküle gleich wieder nach außen hin an die Felder abzugeben, wo sie rasend schnell erhitzt werden, um sofort wieder nach oben zu schießen. Dies ist der physikalische Kreislauf, der dann im Wetterbericht als "lokale Gewitter" angekündigt wird. Das ist diese Urgewalt der Natur, die der Skipper, der den See nicht kennt auf dem er segelt, auch nicht erfasst. Dieser Moment, wenn die glatte Oberfläche des Wassers sich nicht mehr nur grün färbt, sondern sich überall kleine abgehackte Schaumkronen bilden, mitten auf dem See und wenn die Einheimischen das Wasser längst in den rettenden Hafen verlassen haben, denn sie wissen um die mörderische Gewalt ihres Sees, mit dem sie so sehr verwachsen sind. Und wenn alle Anderen in der Mole sind, dann läuft die Wasserschutzpolizei aus, hin zu dem Teil des Sees, dessen Oberfläche am dunkelsten ist, um die auswärtigen, segelnden Touristen zu bergen, die sich jetzt noch über die gute Brise freuen, die aber in wenigen Minuten unweigerlich gekentert sein werden, und - wenn sie Glück haben - sich auf den bemoosten Rumpf ihres Schiffes retten konnten und sich dann voller Unverständnis, aber in Todesangst an dem Schwert festhalten werden, das bizarr in den Himmel ragt. Aber es gibt auch diese Tage, in denen die Gewitterstürme am Horizont zwar entstehen, dann aber innehalten, als würden sie über ihr eigenes Tun nachdenken. Vielleicht war eben dieser Tag doch nicht so heiß, doch nicht so brütend. Dann hören sie auf zu wachsen, sinken langsam wieder in sich zusammen in Zeitlupe, wie ein Penis, der erregt wurde, aber nicht zum Zuge kam. Aber doch zieht der Landwind weiterhin über das Ufer und seine Menschen. Anna fühlte die unbändige Macht der Natur. Es machte ihre Brustwarzen hart, so hart, dass sie ihr schon wehtaten.
Alex bemerkte davon natürlich wieder einmal nichts, saß ihr nur missmutig gegenüber. Besser so, dachte sich Anna und blickte selbstvergessen auf den See hinaus. Durch ihre späte Ankunft waren sie die letzten Gäste, die auf der Terrasse speisten. Doch dieser Umstand störte Anna durchaus nicht, sie war insgeheim sogar
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Eva Indra Bis aufs Blut
froh darüber, denn so konnte sie sich besser vorstellen, dass dieses Hotel eigentlich ihre Ferienvilla war.
Alex hatte sich als Vorspeise eine Minestrone bestellt und Anna, obwohl sie hungrig war, beobachtete wie er seine Suppe aß, ohne auch nur ihren Primo Piatto anzurühren. Da saß er, der Cowboy, den gesamten linken Arm unter dem Tisch, amerikanisch eben, nur seine Rechte war zu sehen, mit der er linkisch den Löffel umkrallte. Er hatte, seitdem die Suppe vor ihm stand, kein einziges Wort mehr gesprochen. Viel zu sehr war er damit beschäftigt, sie schlürfend und über den Teller gebeugt auszulöffeln. Grundsätzlich war das nicht verwunderlich, denn die Suppe war brennend heiß serviert worden, aber Anna missbilligte gewöhnlich schlechte Manieren. Demzufolge hätten ihr auch Alex Unmanierlichkeiten den Appetit verderben können, aber dem war nicht so. Ganz im Gegenteil. Sie kam nicht zum Essen, viel zu beschäftigt war sie damit, seine formlose Art des Essens zu beobachten. Wahrlich, sie hatte noch nie einen Mann so zügellos essen sehen.
„Du bist Leonard gar nicht ähnlich“, sagte sie überzeugt und legte ihr Besteck fein säuberlich parallel auf den Vorspeisenteller, nachdem sie gedankenvoll darin herumgestochert hatte.
Alex zuckte mit den Schultern.
„… die Augen, ja, die Augen sind gleich“ ,setzte sie fort.
Alex zog seine Mundwinkel zu einem gequälten Lächeln, sagte aber nichts. Der Kellner servierte den Fisch und entschwebte diskret in die Küche.
Anna wollte Alex eigentlich noch eine Frage stellen, doch sie hatte gerade ein Stück Brot im Mund – und mit vollem Mund sprach sie nicht, deshalb konnte sie seiner Frage auch nicht mehr rechtzeitig ausweichen.
„Warum hast du ihn umgebracht?“, fragte er und hörte auf zu essen.
Anna hatte sich vor dieser Frage gefürchtet und wie sollte sie ihm diese beantworten, wenn sie selbst keine Antwort darauf hatte oder vielmehr die einzige Antwort darauf einfach nicht ausreichte, um jemanden zu erschlagen? Alex hatte sein Besteck wieder aufgenommen, es kopfschüttelnd angeschaut, das Fischmesser beiseite gelegt und hatte sich das Brotmesser genommen, um dann mit einem schnellen Schnitt den Fisch von seinem Kopf zu trennen. Anna beobachtete seine
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