Eva Indra
Erleichterung stand ihm mit vielen kleinen Schweißperlen auf die Stirn geschrieben, als sie endlich zurückfuhren.
Alex war Annas Anweisung gefolgt und zurück zu der ersten Abzweigung von Cernobbia gefahren, um auf eine tiefergelegene Uferstraße aufzufahren. Kurzum, Annas Vorschlag war nicht einmalig gewesen, denn sie teilte ihre Idee mit den restlichen Autofahrern, die wohl mit der Umgebung hier sehr vertraut waren und die gleiche Straße gewählt hatten. Für geschlagene anderthalb Stunden saßen sie zwischen Cernobbia und Argegno fest, bis sich schließlich der Verkehr wieder schleppend in Bewegung setzte. Es war bereits stockdunkel und Anna hatte die Einfahrt zu diesem Hotel gar nicht gesehen. Erst als Alex den Wagen davor angehalten hatte, bemerkte sie das herrschaftliche Gebäude.
„Ich muss mal pinkeln! Bin gleich wieder zurück!“, entschuldigte sich Alex und verschwand.
Das Hotel Belvedere, vor dem sie geparkt hatten, war schlichtweg umwerfend. Ein goldenes Schild mit der Aufschrift Small Luxury Hotels war neben dem Portal angebracht, doch das wäre gar nicht notwendig gewesen, denn man sah mit einem Blick, dass es sich hier um puren, wenngleich diskreten Luxus handelte. Saftige Efeublätter schmiegten sich an das gelbbemalte Gebäude, warmes Licht ergoss sich aus dem Inneren des Hauses und spiegelte sich im See, zu dem sie ungewollt zurückgekehrt waren, lodernde Fackeln markierten den mit roten Teppichen ausgelegten Weg zu der Terrasse, von der her sich heitere Stimmen mit dem Geklapper von Besteck und Porzellan paarten. Alles in der Welt hätte Anna darum geben, um auf dieser Terrasse zu speisen und damit diesen herrlich sommerlichen Abend ausklingen zu lassen. Aber wie sollte sie Alex dazu überreden, hier zu bleiben? „Hast du keinen Hunger?“, fragte sie Alex, als er zurück war.
„Doch, aber ich halt‘s noch aus. Du etwa?“
„Ja, und wie! Wir haben heute noch nichts gegessen. Ist dir das eigentlich bewusst?“ „Okay, wir bleiben irgendwo stehen und kaufen uns ein Take-Away!“
„Take away?! Spinnst du? Wir sind hier nicht in Amerika. Hier gibt es keine Take- Aways. Hier isst man ordentlich!“
„Okay, und wo bitte?“
„Gleich hier!“, konterte Anna stolz und deutete auf die Seeterrasse.
„Nein, da wirklich nicht“, antwortete Alex und startete den Motor.
„Ich fahre nicht weiter. Das kannst du vergessen. Ich habe Hunger! Sollen sie mich doch verhaften, aber zumindest mit vollen Magen!“, entgegnete Anna überzeugt und stieg aus dem Auto aus, um sogleich erbost ihre Taschen vom Rücksitz zu holen. Trotzig und mit verschränkten Armen über der Brust stand sie nun mit ihren Taschen auf dem Kieselboden des Hotelparkplatzes und erwartete mit Spannung, wie Alex auf ihren Wutanfall reagieren würde.
„Anna, steig bitte wieder ein. Ich habe echt keine Nerven für das. Ich fahr los, auch ohne dich!“
Anna dachte nicht daran wieder einzusteigen. Ohne dramatische Auftritte erreichte man nämlich nichts bei Alex - soviel wusste sie schon. Doch als er dann tatsächlich den Wagen in Bewegung setzte, aus dem Parkplatz fuhr, seinen Arm aus dem Fenster
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Eva Indra Bis aufs Blut
streckte um ihr Auf Wiedersehen zu winken, wurde ihr doch etwas mulmig zu Mute. Mit dieser Reaktion hatte sie nämlich nicht gerechnet. Was sollte sie nun tun? Und was würde er ohne sie tun? Wien war an sich klein und überschaubar, solange man wusste, wohin man wollte. Doch nach einem Buch zu suchen, dessen Aufenthalt man nicht kannte, schien genauso schwierig zu sein, wie eine Nadel in einem Heuhaufen zu finden. Was hatte er nur vor? Anna setzte sich entmutigt auf ihre Taschen, um gleich darauf wieder triumphierend von ihnen aufzuspringen, denn Alex war wieder zurückgekommen!
„Okay! Okay! Ich hab' auch keine Lust mehr, heute in dieser gottverlassenen Gegend allein herumzufahren. Grins nicht so! Frag lieber nach, ob sie noch ein Zimmer haben!“
Genauso hatte sie sich das Hotel vorgestellt! Die Atmosphäre dieses Hotels erinnerte an die Jahrhundertwende. Dunkle Salons überladen mit alten Büchern und einladenden tiefen, weichen Sofas. An einer Seite eine kleine intime Bar, auf der anderen ein Teezimmer mit einem offenen Kamin. Mit offenem Mund ließ Anna dieses gediegene Ambiente auf sich einwirken, bis sie eine etwas ältere, gesetzte Dame nach ihrem Anliegen fragte.
„Ja, sie haben ein Zimmer!“, verkündete Anna völlig außer Atem, als sie wieder beim Auto war.
„Was kostet
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