Eva Indra
Erklärung ansetzen, aber zögerte dann doch.
„Lisa, ich muss dir viel erzählen", sagte sie mit gedämpfter Stimme, „aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt – nur soviel, morgen müssen wir ganz zeitig zur Post, um etwas abzuholen.“
„Was denn?“, fragte Lisa interessiert.
„Ich hatte dir etwas geschickt und du hast eine Benachrichtigung von der Post bekommen!“, erklärte Anna.
„Ja, richtig! Die kam gestern, aber ich hatte noch keine…“
„Ich weiß, ich weiß“, unterbrach sie Anna abrupt. „Tatsache ist, ich habe es schon abgeholt.“
„Warum müssen wir dann zur Post?“, warf Lisa verständnislos ein. Anna musste zugeben, dass diese Frage nicht einer gewissen Logik entbehrte. Aber es war schlicht unmöglich, ihrer Freundin in wenigen Sätzen zwischen schimmelndem Geschirr und einem leeren Kühlschrank die ganzen Ereignisse der letzten Tage zu erzählen, während Alex sich irgendwo in der Wohnung herumtrieb und jeden Moment auftauchen konnte.
„Ich weiß, das ist alles sehr komisch, aber komm einfach mit zur Post und hole mit mir etwas ab, bitte!“
„Aber ich dachte…“, begann Lisa erneut.
76
Eva Indra Bis aufs Blut
„Lass mich nur machen“, entgegnete Anna und zog Lisa mit ins Wohnzimmer. Obwohl Alex ununterbrochen gedrängelt hatte zum Postamt zu gehen, weil Lisa nun ja schließlich anwesend sei, hatte Anna ihm vorgeflunkert, dass es bereits geschlossen hätte und sie demnach bis zum nächsten Morgen warten müssten. Der Umstand, dass Alex kein Wort Deutsch verstand war Anna zu Gute gekommen. So hatte sie Lisa entsprechende Anweisungen geben können, damit diese die Geschichte mitspielte Statt zur Post waren sie einkaufen gegangen und hatten dann den Rest des Tages damit verbracht, sich die Geschehnisse der letzten Jahre zu erzählen. Da diese Konversation in der deutschen Sprache abgehalten wurde, kam Alex auf die glorreiche Idee, sich mit dem roten „Zweigelt“ zu betrinken. Dass daraufhin auch er etwas lockerer wurde, hatte Anna wiederum dazu veranlasst, ihn trotz dringender Notdurft nicht aus den Augen zu lassen.
Viel zu offensichtlich folgten nämlich seine blitzenden blauen Augen Lisa nach, wann immer sie aufstand. Und da war es wieder, dieses beklommene Gefühl. Diese Emotion, die sie an sich selbst verachtete. Was war nur los mit ihr? Sie wollte ihn doch gar nicht. Sicherlich, der Sex mit ihm war ganz nett gewesen. Und er war wohl auch ein Mann, der sich nicht von seinem Weg abbringen ließ, der stark und zielstrebig war, etwas, das ihr eigentlich gefiel Aber er wollte sie doch eigentlich gar nicht, er wollte nur dieses verdammte Buch. Er hatte die ganzen Tage nie etwas über sie gesagt, zumindest nie etwas Nettes, nicht mal beim Sex. Und sie wusste rein gar nichts über ihn, außer, dass er Leonards Sohn war. Aber auch das wusste sie nur von ihm, denn Leonard hatte nie über seine Familie gesprochen. Wer er war, was er in den USA tat, wieso er gerade jetzt nach Italien gekommen war - offensichtlich nur, um dieses Buch zu bekommen - sie hatte keine Ahnung. Vielleicht war er gar nicht Leonards Sohn, vielleicht war er ein gemeiner Verbrecher. Mit welcher Nonchalance er diese beiden Autos gestohlen hatte, mit welcher Seelenruhe er einen geklauten Wagen mit italienischen Nummernschildern in Wien abstellte, das suchte seinesgleichen. Und trotzdem brannte sein Blick wie Feuer in ihr, wenn er Lisa unverhohlen regelrecht anstarrte. Anna wusste sehr wohl wie Lisa wirkte, denn was das Aussehen und den Körper anging, waren beide Freundinnen von der Natur reichlich beschenkt worden. Und auch Lisa liebte die Sinnlichkeit und versteckte ihre Reize nicht. Ein Grund mehr, warum sich die beiden immer so gut verstanden hatten. Aber heute passte es Anna überhaupt nicht, dass ihre Freundin so attraktiv war und es gefiel ihr noch weniger, dass Alex so deutlich darauf reagierte. Männer sind schwanzgesteuert, hier zeigt es sich wieder mal, dachte Anna. Und gleichzeitig kam es überhaupt nicht in Frage, dass sie ihm erlauben würde, sich für Lisa zu interessieren. Lieber ließ sie ihre Blase platzen. Anna war unleidig, gereizt und überaus schnippisch, denn sie ärgerte sich maßlos über Alex, der seine Augen nicht von Lisas Hintern lösen konnte und über sich selbst, weil es ihr so viel ausmachte.
Wie auch immer, gegen zwei Uhr früh war man zu Bett gegangen und Anna konnte endlich aufs Klo gehen. Alex hatte das Gästezimmer bezogen, während Anna sich mit Lisa ein Bett
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