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Eva Indra

Eva Indra

Titel: Eva Indra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bis aufs Blut
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einfallen. Egal, dieser Typ hatte ein Faible für antiquarische Bücher gehabt, während Lisa nie ein Geheimnis daraus gemacht hatte, dass sie in ihn verliebt gewesen war. Sollte sie immer noch mit ihm...“
    „Anna, was hast du gemeint mit, es sei denn...“
    Anna versuchte schneller zu denken, als Alex ihr Zeit ließ. Vielleicht war Lisa deshalb nicht mehr in der Wohnung. Nein, nein! Es musste noch eine andere Erklärung geben. Grübelnd setzte sie sich auf den Ledersessel vor dem Sekretär und kramte in den diversen Briefen und Notizen. Wohl war ihr dabei nicht zu Mute. Nicht nur, dass sie in Lisas Wohnung einbrachen, sondern sie durchfilzten nun auch noch ihre ganze Habe und Bleibe. Allerdings lohnte es sich, denn Anna fand plötzlich ein Stück Papier und hielt es triumphierend in die Höhe.
    „Ich hab's gefunden!“, stieß sie begeistert aus.
    „Was? Wo?“, fragte Alex und sprang mit neuer Kraft vom Boden auf.
    Anna überreichte ihm den Zettel. Alex starrte auf das Papier, drehte und wendete es in der vergeblichen Hoffnung, einen englischen Satz darauf zu finden. Achselzuckend zog er fragend die Augenbrauen hoch und gab es ihr zurück.
    „Ich wusste, die Marken würden nicht ausreichen!“, setzte sie fort.
    „Ich versteh' nicht was das soll. Das ist nicht weiter als ein Fetzen Papier...“
    „Nein, das ist es nicht! Das ist eine Benachrichtigung vom Postamt, dass ein Paket zur Abholung bereit liegt und ich wette mit dir, dass das mein Buch ist.“
    „Mein Buch, meinst du wohl!“, warf Alex schleunigst ein.
    ***
    Das Hauptpostamt für den siebten Wiener Gemeindebezirk befand sich auf dem Westbahnhof und dieser lag nur ein paar Gehminuten von Lisas Wohnung entfernt. Auf dem Weg zum Postamt überlegte Anna. Warum hatte er so sehr betont, dass es sein Buch sei, nicht ihres? Was wollte er mit diesem Buch? Sie traute ihm nicht über den Weg. Und was würde er mit ihr tun, nachdem sie ihm das Buch ausgehändigt hatte? Anzeigen? Schon in Sichtweite des Postamtes kamen sie an der Bahnhofsbäckerei vorbei. So müsste es gehen, schoss es ihr durch den Kopf und zog dann Alex mit sanfter Bestimmtheit hinein. Von Hunger und Frühstück, von langer Autofahrt und schlechtem Schlaf redete sie, während sie warteten. Als sie an der Reihe waren, gab Anna auf Deutsch eine längere Bestellung auf und flüsterte zu Alex: „Du zahlst doch, ja? Ich hol' inzwischen das Päckchen“, hauchte ihm einen Kuss auf die Backe und bevor er begriffen hatte, war sie schon aus der Bäckerei und in das Postamt geflitzt. Alex stand verdattert da und konnte nicht weg, während die Verkäuferin widerlich fröhlich in dieser komischen Sprache Deutsch auf ihn einplapperte.
    Anna hatte sich ans Ende der endlos langen Warteschlange vor dem Schalter angestellt und wackelte nervös von einem Fuß auf den anderen. Man hätte meinen können, sie müsse dringend auf die Toilette und offensichtlich hatten wirklich einige der Wartenden diesen Eindruck, denn man bot ihr doch tatsächlich an, weiter vorne in die Schlange zu gehen. Die Wiener hatten also ihre Herzlichkeit doch nicht verloren. Als sie an der Reihe war und dem Postbeamten die Benachrichtigung überreichte, hatte er nach ihrem Personalausweis gefragt. Anna hatte sehr wohl einen Ausweis bei sich, doch was sollte der nützen. Sie war nicht die Person, an die das Päckchen
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Eva Indra Bis aufs Blut
    ursprünglich gerichtet war. Vielleicht war es ihr unwiderstehlicher Charme gewesen, vielleicht der Umstand, dass man die Förmlichkeiten in Wien nicht ganz so genau nahm, jedenfalls hatte sich der Postbeamte schließlich erbarmt und ihr das Paket überreicht. Der wirkliche Grund war aber gewesen, dass dieser Beamte - gefangen in seiner einfachen Welt zwischen Briefmarken und Kleingarten in der Vorstadt - schon sehr lange keine derart hübsche und attraktive junge Frau mehr gesehen hatte. Diese Frau hätte ihn bitten können was sie wollte, er hätte es ihr wie in Trance gegeben, aber das konnte Anna nicht ahnen. Sie sah sich selbst und ihren Körper jeden Tag im Spiegel, für sie war ihr eigener Anblick das Normalste der Welt. Für diesen armen Mann hinter dem Panzerglas aber war sie eine Erscheinung gewesen, die ihm im Gedächtnis bleiben würde und sein altes Herz erwärmte.
    Wie auch immer, als sie letzten Endes das Paket in ihren Händen hielt, paarte sich Freude mit tiefster Bestürzung. Verstohlen blickte sie um sich und plötzlich geschah etwas Unvorhergesehenes, etwas, was sie

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