Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
jeweiligen Kommandanten und nach Beschluss des Generalkommandos zum Ausscheiden des Betroffenen aus der Truppe beziehungsweise zur Ablehnung seiner freiwilligen Weiterverpflichtung.«
In einem Atemzug, ohne auch nur ein einziges Mal den Blick seiner blauen Augen zu heben, las der Tenente Colonnello wie ein Schüler den Artikel vor.
»Gegeben zu Rom, am 29. März 1946. Umberto von Savoyen. De Gasperi, Brosio, Romita, Corbino. Siegelbewahrer: Togliatti.«
Mehr gab es nicht vorzulesen. Und doch richtete der Oberleutnant den Blick weiter auf das Blatt.
Entweder sie oder wir. Das hatte Mariangela Anania, geborene Mollica, zu ihrem Sohn gesagt. Und die Gesamtheit der Kalabresen, obwohl durch jahrhundertelange Fehden, Rivalitäten, Zwistigkeiten und obskure Machtinteressen entzweit, war sich darin einig, die Eheschließung Vitos mit einer ledigen Mutter zu missbilligen. Einstimmig, was man seit den Zeiten der Magna Graecia, ja, der Phönizier nicht mehr erlebt hatte. Und angesichts der erstaunlichen Geschlossenheit dieses Urteils, das seine Lands leute da verkündet hatten, die lebenden, aber auch die toten, wie seine Mutter ihm klarmachte, wenn nicht sogar künftige Generationen, was konnte ihm da solch eine Dienstordnung schon anhaben? Welches neue Hindernis konnte sie seiner Liebe zu Gerda schon in den Weg legen, das nicht bereits da war, unverrückbar und unüberwindlich wie ein auf einen Eselspfad gestürzter Felsblock?
Der Tenente Colonnello hob den Blick seiner sanften Augen.
»Schwester eines Terroristen und ledige Mutter … Wo haben Sie die bloß aufgegabelt, Brigadiere Anania?«
»Gerda hat nie etwas Unrechtes getan.«
Der Oberleutnant seufzte, nicht ärgerlich, sondern eher hilflos, sogar bedauernd.
»Sie können das sehen, wie Sie wollen, Brigadiere, aber so steht es in der Dienstordnung. Öffentlichen Anstoß erregendes, ungebührliches Verhalten. Es wäre beides erfüllt. Kein Vorgesetz ter wird Ihnen jemals erlauben, diese Frau zu heiraten. Als freier Bürger können Sie das natürlich tun, aber dann werden Sie verabschiedet. Das Reglement spricht da eine klare Sprache.«
Vito hatte sein ganzes Erwachsenenleben damit zugebracht, sich an die Vorschriften der Arma dei Carabinieri zu halten. Mit Stolz, Opferbereitschaft, Korpsgeist – Einstellungen, die kein Zi vilist je verstehen würde. Daher wusste er jetzt auch nichts zu erwidern. Als er das Büro seines Vorgesetzten verließ, traf er Genovese auf dem Flur.
Der Neapolitaner hatte bereits den Mund geöffnet, um irgend einen seiner Sprüche loszuwerden. Doch als er Vitos Gesicht sah, kniff er die Lippen zusammen. Ja, so sahen Verliebte aus, wenn die Geschichte bereits einen unglücklichen Verlauf zu nehmen begann: Und Anania hatte offenbar gerade einen mächtigen Dämpfer erhalten. Langsam hob und senkte Genovese den Kopf wie jemand, der etwas bereits lange Erwartetes bestätigt findet. Dann klopfte er Vito ganz unvermittelt brüsk, aber doch fast zärtlich zweimal auf die Schulter, drehte sich um und ging davon.
Der Brigadiere blieb allein im Gang zurück.
Heiraten. Er und sie. Nichts anderes wollten sie. Aber wie sollten sie das anstellen, wenn alle Welt dagegenstand? Jedenfalls durften sie jetzt nicht den Mut verlieren. Sie liebten sich doch. Nur darauf kam es an.
Man würde ihn aus dem Dienst entlassen? Na wenn schon? Die Arma dei Carabinieri war ja nicht die ganze Welt. Sie würden es trotzdem schaffen. Gerda war Köchin, und auch er hatte einen Beruf gelernt, war diplomierter Buchhalter. Und sobald er eine Stelle fände, würde sie sich auch nicht mehr in der Hotelkü che abrackern müssen, weil er dafür sorgen wollte, dass es ihr an nichts fehlte. Eva würde irgendwo in der Nähe zur Schule gehen, und sie konnten endlich alle drei zusammenleben. Er würde sie adoptieren und ihr seinen Namen geben: Eva Anania, das klang richtig gut.
Sie würden glücklich sein, alle drei, und noch mehr Kinder bekommen. Eva wäre froh, alle Mädchen freuten sich über kleine Geschwister, mit denen sie schmusen und spielen konnten. Und sie würde sie so liebhaben, dass sie gar nicht auf den Gedanken käme, eifersüchtig zu werden.
Aber seine Mutter? Nun, die brauchte einfach etwas Zeit, früher oder später würde sie ihre Meinung ändern, spätestens dann, wenn das erste Enkelkind zur Welt kam, und ihm verzeihen. Da war er sich sicher.
Vito redete in einem fort, unter der Bettdecke, mit leiser Stimme.
Gerda hörte ihm wortlos zu. Sie drängte sich an
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