Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
ihn, suchte ihn mit den Händen. Sie begehrte ihn, seinen Mund, wollte spüren, wie er sich in ihr bewegte, ihr ganzes Leben lang würden sie das Bett miteinander teilen, aber jetzt konnte sie es nicht erwarten.
Vito war sofort bereit, wie immer für sie. Sie eng umschlungen im Arm haltend, drehte er sie auf den Rücken, während sie sich ihm entgegenbäumte. Mein Gott, wie leicht es doch war, in sie einzudringen, wie selbstverständlich, wie unverzichtbar.
Danach schlief Vito ein.
Seinen Kopf an ihrer Brust, hielt Gerda ihn wie ein Kind im Arm. Sie blickte auf den Stuhl neben dem Bett, auf dem er seine Uniform abgelegt hatte. Die Hose war exakt gefaltet, und der rote Längsstreifen hob sich genau in der Mitte von der Sitzfläche ab, während die Schultern seines Hemdes auf den Knäufen der Lehne steckten. Wie ordentlich er doch war, ihr Vito, wie zuverlässig, wie vertrauenswürdig. Ein Ehrenmann. Sie streichelte sein schwarzes Haar. Es war schon ein wenig schütterer als zu dem Zeitpunkt, als sie sich kennengelernt hatten. So häufig hat te sie seine Stirn berührt, seinen Nacken, seine Augenbrauen, dass sie, wäre sie jetzt erblindet, tastend seinen Haaransatz unter Tausenden wiedererkannt hätte. Gerda seufzte tief, während sich Vitos Kopf mit ihrem Busen hob.
Sie wusste, was zu tun war.
Als Vito aufwachte, stand sie rauchend am Fenster. Er sah sie an und bekam Angst. Ihre Stimme war verändert, ihr Gesicht, ihre Augen. Während er schlief, war Gerda in ein Danach eingetreten, das mit dem Davor nichts mehr zu tun hatte.
Sie sagte:
»Ich habe eine Entscheidung getroffen.«
Sie sagte nicht: Wenn du den Dienst quittierst, bist du nicht mehr du selbst und verlierst alles, woran du glaubst. Und sie sagte auch nicht: Deine Mutter hat nur dich, dies hier ist nicht dein Zuhause, hier wärst du immer unglücklich, du würdest eingehen vor Heimweh. Und auch nicht: Sag mir, dass das alles nicht stimmt, was ich da rede, überzeug mich, lass nicht zu, dass wir uns trennen.
Stattdessen sagte sie: Ich will dich nicht heiraten. Das ist meine Entscheidung. Ich habe lange darüber nachgedacht, ich kann nicht mit dir leben, wir sind zu verschieden, das würde niemals gut gehen, und wenn wir noch Kinder bekämen, wäre Eva dir nichts mehr wert.
Sie zuckte mit den Achseln, und diese leichte Bewegung ließ sie fast zusammenbrechen. Schnell zündete sie sich eine weitere Zigarette an, obwohl die erste noch nicht aufgeraucht war.
Vito hatte sich im Bett aufgesetzt und sagte kein Wort.
Gerda stieß den Rauch aus, kraftvoll, blies ihn weit fort, als wolle sie die Berge jenseits des Fensters treffen.
Vito schwieg weiter.
Gerda rauchte die Zigarette zu Ende.
Vito hätte nie geglaubt, dass es ihm einmal so schwerfallen könnte, ihr in die Augen zu schauen.
Und Gerda begriff, dass sie das Richtige getan hatte, das Einzige, was ihnen übrig blieb, als er jetzt nicht zu ihr sagte: Nein, meine große Liebe, du Licht meines Lebens, ich liebe dich, und wir werden diese Probleme meistern, wie wir auch alle weiteren Probleme meistern werden, die uns unser gemeinsames Leben noch bringen wird, verlass mich nicht, dann werde ich dich auch nie verlassen. Stattdessen sagte er:
»Aber ich möchte es Eva sagen.«
Es war ihm wichtig, sich einzeln von allen zu verabschieden. Von Sepp, Maria, Eloise, Ulli. Er schaute auch bei dem Hof vorbei, wo Ruthi eingeheiratet hatte, und brachte eine Kleinigkeit für das Neugeborene mit. Er habe seine Versetzung beantragt, erklärte er. Zu lange schon sei er von zu Hause fort. Seine Mutter sei alt, und sie habe ja nur ihn, deshalb müsse er heimkehren. Niemand stellte Fragen. Niemand sagte: Und was ist mit Gerda? Maria umarmte ihn und gab ihm Schüttelbrot und Kaminwurze und selbst gebrannte Schnäpse aus Latschenkiefern, Himbeeren und Enzian als Geschenke für seine Mutter mit. Graukäse nicht, der wäre nicht heil in Kalabrien angekommen. Sepp hatte eine Holzkiste für ihn geschnitzt, in der er seine Andenken an Südtirol aufbewahren sollte, aber das eigentliche Souvenir war der Duft, der frei wurde, wenn man sie öffnete, der Duft von Stube und Heuboden. Ulli weinte und wollte ihn nicht loslassen. Eva war nicht da.
Sie saß oben auf dem Nanga Parbat, auf den Holzbrettern unter dem Dach, und ließ die Beine durchs Geländer baumeln. Sie blickte hinunter auf den Platz zwischen Stall und Haus, auf die Hühner, die auf dem Misthaufen herumscharrten, die Katze, die dösend in einer Ecke lag. Die ganze
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