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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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Zeit, während sich Vito verabschiedete, rührte sie sich nicht. Die anderen bemerkten sie erst, als sie herauskamen, um Abschiedsfotos zu machen – alle wollten ein Bild von sich mit Vito darauf, aber in der Stube war nicht genug Licht dafür.
    Gerda rief, sie solle sofort herunterkommen.
    Den Kopf im Nacken, die Stirn in Falten gelegt, sah Vito wortlos zu ihr hinauf.
    Über die Geländer der hölzernen Balkone vor dem Heuspeicher kletterte Eva aus ihrem Versteck hinunter. Normalerweise hätte Vito sie ausgeschimpft, denn es war gefährlich, auf diesem Weg abzusteigen. Aber heute sagte er kein Wort und sah ihr nur zu, wie sie sich an der Fassade des alten Heuschobers hinabließ mit nackten Beinen, die unter dem Kleidchen hervorschauten, die Knie aufgeschürft, während ihre Strümpfe bis zu den Knöcheln hinuntergerutscht waren. Mit einem kleinen Satz landete sie vor dem Stallfenster, und Vito ging auf sie zu, nahm sie in den Arm und sagte etwas zu ihr. Eva hörte nicht zu, zu sehr war sie eingenommen von dem, was ihr durch den Kopf ging: Und ich habe gedacht, er ist anders als die anderen, dabei ist er der Schlimmste von allen.

Km 138 3 – 1397
    Am Bahnhof in Villa San Giovanni sieht man unter dem verrosteten Schutzdach eine mit Graffiti übersäte Mauer. Vor allem Fußballanhänger haben sich mit den Namen von Fanclubs verewigt:
    BRIGATE AUTONOME ALCAMO
    CURVA NORD PALERMO merde
    (»Scheiße« kleingeschrieben)
    ULTRAS MESSINA TESTI FRACIDI
    Was wohl mit »testi fracidi« gemeint ist? Besoffene Gehirne oder verdorbene Hoden?
    Jenseits der Gleise erhebt sich ein großes Einkaufszentrum, über dem in gigantischen grünen Lettern ein Schriftzug prangt, der gut auch der Titel eines Abenteuerromans von Salgari sein könnte:
    LA PERLA DELLO STRETTO (Die Perle der Meeresstraße)
    Über eine Fußgängerbrücke ist das Einkaufszentrum mit dem Bahnhof verbunden. Viele Menschen sieht man die Stufen der Metalltreppe hinauf- und hinuntereilen, während die nagelneuen Rolltreppen daneben offenbar stehen. Ich vermute sogar, dass sie noch nie gelaufen sind; sie sind von einem glänzenden, heiteren Rot, genau jenem primären Rot, in dem auch Ullis Schneeraupe Marlene lackiert war.
    Die Familie aus Messina steigt aus. Sie wollen hier Verwandte besuchen und mit ihnen morgen den Ostermontag verbringen, bevor sie am Tag darauf nach Hause zurückfahren. Wir verabschieden uns herzlich, die Frau rafft ihre vielen Tüten und Taschen zusammen, ihr Mann drückt mir die Hand, sehr kräftig, wie von einem früheren Polizisten nicht anders zu erwarten, die Tochter zeigt ein strahlendes Lächeln, und dann bleibe ich allein zurück. Allein im Abteil, im Waggon, vielleicht sogar im ganzen Zug.
    Jenseits des veilchenblauen Wassers der Straße von Messina scheint sich Sizilien im Gegenlicht an die untergehende Sonne zu lehnen, eine dunkle Landmasse, über der lang gezogene Wolken hängen. Der Zug setzt sich wieder in Bewegung, bricht auf zu seiner letzten Etappe, und genau in diesem Augenblick sehe ich, wie hinter der Insel, jenseits des plötzlich anthrazitfarbenen Meeres, die Sonne ganz verschwindet.
    Aus der halb geöffneten Tasche auf dem Nebensitz dringt ein bläulicher Lichtschein zu mir: eine SMS. Ich nehme das Handy heraus und schaue aufs Display. Carlo schreibt mir.
    WIE GEHT’S DIR? BIST DU SCHON DA? ICH LIEBE DICH.
    Lange betrachte ich die Nachricht und drücke dann, ich weiß selbst nicht so recht, wieso, eine Taste unter dem Bildschirm, woraufhin ich gefragt werde: LÖSCHEN?
    Ich wende den Blick zum Fenster. Die Umrisse Siziliens werden immer düsterer und undeutlicher und sind mittlerweile nur noch durch die Lichter Messinas bestimmt. Dann durchfahren wir die Außenbezirke von Reggio Calabria. Wohnhäuser als Resultat von Kahlschlag und Bauspekulationen, wie sie überall sonst in Italien auch stehen könnten, sind jetzt in das gelbe Licht der Straßenlaternen getaucht. Mit fast tropischer Geschwindigkeit ist die Nacht hereingebrochen.
    Während der Zug in Vitos Stadt einfährt, drücke ich: JA.
    Der Bahnhof ist fast menschenleer. Mit ein paar wenigen anderen Passagieren steige ich aus dem Waggon, auf unsicheren Beinen wie nach einem langen Intercontinentalflug. Ich habe ein Zimmer in einem Hotel beim Bahnhof gebucht, mein Trolley ist nicht sperrig, ich müsste also zu Fuß hinkommen. Während ich mich schon aufs Gleisende zubewege, sehe ich ihn plötzlich vor mir.
    Er sieht genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung habe. Nicht sehr

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