Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
ein Mann mit rötlichen Haaren, mit hellen, an ein Reptil erinnernden Lidern, rauer Stimme und der breitbeinigen Haltung eines Menschen, dem nur die eige nen Fähigkeiten zum Erfolg verholfen haben. Aus dem steilen, im ewigen Schatten liegenden Grund und Boden, der die Familie über Generationen zu einem Leben in Armut gezwungen hatte, war eine Goldgrube geworden. Ende der zwanziger Jahre schon, während Hermann als Belohnung für sein Mittun bei den Faschisten das Lasterfahren lernen durfte, hatte der junge Staggl auf seinem Land eine primitive Zugvorrichtung mit Seil und Laufrolle installiert. Die abenteuerlustigen Skifahrer, die mit überlangen Skiern und Robbenfellen ausgerüstet zu den Almweiden oberhalb des Städtchens aufstiegen, hielten sich daran fest und wurden, mit einer ordentlichen Zeit- und Kraftersparnis, den Hang noch weiter hinaufgezogen. Anfangs wurde das Zugseil von dem kräftigen Lastpferd seines Vaters in Gang gehalten, doch bald schon verdiente Paul genug, um sich von dem Geld einen Generator leisten zu können.
Als sein Vater starb, damals in den unruhigen dreißiger Jahren, in denen Hermann zunächst Faschist und dann Nationalsozialist wurde, hatte Paul seine Mutter und seine beiden noch unverheirateten Schwestern von der Idee überzeugt, einige Zimmer auf ihrem Hof an eben jene Skifahrer zu vermieten, die seinen primitiven Skilift nutzten. Was konnte es Herrlicheres geben für die deutschen Skitouristen, als in aller Frühe aufzuwachen und gleich die Piste vor der Tür liegen zu haben, und das auch noch auf der schöneren, dem Süden zugewandten Seite der Alpen? Nicht lange, und das Geschäft lief so gut, dass Paul in die Erweiterung des Gebäudes neben dem Stall investieren konnte. Die sensationellste Neuerung aber war die Einrichtung einer echten Toilette, und das nicht auf dem Hof, sondern, ein unerhörter Luxus, im Haus selbst, sodass man in kalten Winternächten nicht mehr ins Freie hinausmusste. Zum Einweihungs fest lud Paul die gesamte Nachbarschaft ein und zeigte sich äußerst großzügig: Nicht nur demonstrierte er seinen Gästen das unbefleckte Wasserklosètt , sondern bestand auch darauf, dass sie es persönlich ausprobierten. Um dafür zu sorgen, dass diese einmalige Gelegenheit auch von allen, Erwachsenen wie Kindern, ausgiebig genutzt wurde, ließ er von der Mutter und den Schwestern Berge von Zwetschgnknödeln zubereiten, die bekanntlich die Verdauung besonders wirksam anregen.
Wieder und wieder wurde die Toilette von den Nachbarn getestet. Keinen Augenblick stand die Spülung still. Und so wurde es ein denkwürdiges Fest, von dem man sich noch Jahre später erzählte.
Zur Zeit der »Option« hatte sich Paul Staggl bedeckt gehalten, hatte es vermieden, gefährliche Positionen zu vertreten, und sich, wie es die Behörden wünschten, für den Umzug entschieden. Aber als gewiefter Geschäftsmann, der er war, bedachte er be reits, dass sich durch den bevorstehenden Krieg alle angekündigten Maßnahmen hinauszögern, wenn nicht sogar zum Stillstand kommen könnten. Auch die Aussiedlungen. Seine Vorhersagen sollten sich bewahrheiten: Die Einzigen, die zum geplanten Zeitpunkt aufbrachen, waren Hungerleider, die nichts zu verlieren hatten, oder eben solche Fanatiker wie Hermann. Schließlich meinte es das Schicksal gut mit Paul: Seine Grundstücke an den Steilhängen blieben von den Bombardierungen durch die Alliierten verschont, während unten im Tal viele Häuser zerstört wurden.
Und so kam es, dass schon wenige Jahre nach Kriegsende anstelle des alten Hofes mit den steilen Wiesen, auf denen sich die Staggls über Generationen den Buckel krummgeschuftet hat ten, ein großes Hotel entstand, dessen Zimmer einen weiten Blick auf die Gletscherwelt boten, was bald eine internationale Gästeschar anlockte. Paul hatte drei weitere Lifte auf benachbarten Wiesen errichtet. Auch wer niemals bereit gewesen wäre, Schweiß und Anstrengung des langen Aufstiegs für den kurzen Rausch der Abfahrt in Kauf zu nehmen, konnte nun Ski fahren. Jeden Winter strömten die Touristen in immer größerer Zahl herbei.
Zu Beginn der sechziger Jahre zählte Paul Staggl noch nicht zu den reichsten Männern der Stadt, aber er war entschlossen, dies zu ändern. Für Anschläge und Bomben war in seinen Plänen nun wirklich kein Platz. Zur »Südtirolfrage«, die Peter und die anderen zornigen jungen Leute so leidenschaftlich erregte, weigerte sich Paul Stellung zu beziehen: Italiener, Deutsche oder
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