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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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körperliche Arbeit bedeutete, und deswegen war ihnen solch ein demonstrativer Akt auch keinen zerstörten Weinberg, keinen ruinierten Bauern wert.
    Anders als die italienischen Journalisten schrieben, waren die Angehörigen dieser ersten Generation von Bombenlegern weder Mitglieder von Geheimdiensten noch ehemalige Soldaten, die sich jetzt, fünfzehn Jahre nach Kriegsende, noch einmal austoben wollten. Sie waren auch keine verbohrten Antikommunisten oder Anhänger Großdeutschlands, ebenso wenig wie Neonazis oder Waffennarren. Diese Leute gab es auch, aber später, ähnlich wie auf der anderen Seite die italienischen Neofaschisten, die Geheimdienste oder den General De Lorenzo, der seine Carabinieri auf Abwege führte. Da kam es zu Anschlägen auf Kasernen und Grenzstationen mit Toten und Verletzten, zu Opfern, die einkalkuliert und beabsichtigt waren. Doch zu diesem Zeitpunkt waren die Bombenleger der ersten Generation, die »Bumser«, wie sie später fast liebevoll genannt wurden – Leute, die darauf bedacht waren, Obsthaine zu schonen –, bereits tot oder in Haft.
    Die Bumser waren bodenständige Leute, die im Grunde an das Gute im Menschen glaubten. Das Vorgehen, auf das sie sich geeinigt hatten, war einfach: Würde einer von ihnen verhaftet, sollte er einfach nur schweigen und keinerlei Namen preisgeben. Es würde also reichen, so dachten sie, im Verhör nicht den Mund aufzumachen, und damit wäre ihre Organisation nicht gefährdet. Das schien nicht schwer.
    Aber es hatte sich eben keiner von ihnen vorstellen können, wie diese Verhöre abliefen. Niemand machte sich klar, was Schläge, Schlafentzug und Blendung durch Phosphorlampen bedeuteten, niemand wusste vorher, wie man sich fühlte, wenn einem büschelweise die Haare ausgerissen wurden oder die Fingernägel, wenn Zähne ausgeschlagen, brennende Zigaretten auf der Haut ausgedrückt, Salzwasser durch die Nase gespült, die Genitalien mit Stromschlägen traktiert wurden. Niemand von ihnen hatte vorher von dem sogenannten »Kasten« gehört, einer Foltertechnik, von der französischen OAS in Algerien entwickelt und nun von Italienern fleißig und mit immer besseren Ergebnissen angewandt. Niemand von ihnen hätte sich vorher ausmalen können, dass uniformierte Vertreter eines de mokratischen, republikanischen Staates sie so herabwürdigen könnten, zu einem nur noch »halb menschlichen, halb bewussten Zustand, in dem man alles zu tun, alles zu sagen bereit ist, wenn das nur endlich aufhörte, was da mit einem angestellt wird, ein Zustand, in dem man nur noch Objekt ist, aber kein Mensch mehr«, wie einer von ihnen nach seiner Freilassung erklärte.
    Einigen Inhaftierten gelang es, mit auf Toilettenpapier gekritzelten Nachrichten die Welt draußen darüber zu informieren, dass sie gefoltert wurden. Innenminister Scelba, der die Spezialeinheiten der Polizei aufgebaut hatte, die Gerda in Meran so sehr einschüchterten, war gezwungen, Stellung zu beziehen.
    »Auf der ganzen Welt schlagen Polizisten schon mal zu«, antwortete er.
    Die Verschwörer redeten. Alle. Innerhalb nicht einmal eines Monats war das Netz der Feuernachtsattentäter zerschlagen. Zwei von ihnen starben noch während der Haft an Verletzungen durch die Folter. In einem Prozess, der einige Zeit später wegen dieser Misshandlungen stattfand, wurden alle angeklagten Carabinieri freigesprochen.
    In einer Schlagzeile, die über die ganze erste Seite ging, hieß es am 23. Juni 1961 in der Tageszeitung ALTO ADIGE:
    BOLZANO IST FESTER BESTANDTEIL DER REPUBLIK ITALIEN, UND ALLE SOLLTEN SICH ENDLICH
DIESER TATSACHE BEWUSST WERDEN.
    »Die Bomben vertreiben uns die Touristen.«
    Das sagten die Leute in der Kleinstadt, als Gerda zum Ende der Saison wieder heimkehrte.
    Unterdessen hatte es Peter geschafft, das Mädchen, das er verehrte, zu heiraten. Leni, so dunkelhaarig und zierlich wie Johanna, aber lebenslustiger als diese, wohnte nun im Haus der Familie Huber und erwartete ein Kind. Auch die Schwester Annemarie hatte einige Jahre zuvor geheiratet und war zu ihrem Mann nach Vorarlberg gezogen. Seit jenem Tag hatten ihre Eltern sie nicht mehr gesehen. Dabei wäre ein Besuch bei ihr nur ein Ausflug gewesen.
    »Die Bomben vertreiben uns die Touristen.« Das meinten vor allem die Mitglieder eines neu gegründeten Konsortiums unter dem Vorsitzenden Paul Staggl.
    Der ärmste von Hermanns ehemaligen Klassenkameraden, der sich ihm und Sepp Schwingshackl jeden Morgen auf dem Schulweg angeschlossen hatte, war jetzt

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