Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
gekocht und mit Soße verrührt. Durch die Straßen zog der Duft von angeschwitzten Zwiebeln, säuerlich-süßes Tomatenaroma und auch der beißende Geruch rohen Knoblauchs, den selbst die wagemutigsten unten den braven Südtiroler Hausfrauen bislang immer gemieden hatten. Gerdas Ausbildung in der internationalen Hotelküche ( tournedos, coq au vin, pâtes feuilletées ) wurde verschoben. Stattdessen lernte sie viel über die Geschmacksrichtungen und Aromen des Südens: Einen Teil der jüngsten Generation italienischer Männer hatte es nach Südtirol verschlagen, und die zeigten großen Appetit.
Keiner von den Soldaten aber, die den Zopf, den sich die einheimischen Mädchen um den Kopf schlangen, »Ersatzrad« nannten, keiner der Offiziere, die in den requirierten Hotels mit den von Geranienkaskaden überladenen Balkonen untergebracht waren, niemand von denen wusste, dass einige Wochen zuvor der Kommandant des vierten Armeekorps, General Aldo Beolchini, die Oberkommandierenden der Streitkräfte vor der Gefahr einer beispiellosen Welle der Gewalt gewarnt hatte. Von zuverlässigen Informanten, hatte er seinen Vorgesetzten berichtet, wisse er, dass Anschläge auf die Infrastruktur der Provinz, insbesondere auf Hochspannungsmasten, geplant seien.
Die militärische Führungsspitze aber schenkte der Warnung dieses Generals keinerlei Gehör. Stattdessen versetzte man ihn unverzüglich. Weit weg von Südtirol, das kurz darauf die »Feuer nacht« erlebte.
Die perfekte Planung der Anschläge löste in Rom Panik aus. Die Attentäter, so schrieben die Zeitungen, hätten es sich zum Ziel gesetzt, die Einheit Italiens zu zerschlagen. Daher müsse jedes Mittel recht sein, um sie aufzuhalten. Eiskalt wie Killer gingen diese Leute vor, verbreitete man, verschlagen wie Agenten, gewissenlos wie eingefleischte Verbrecher. Kurzum, die Gefahr sei groß.
Kaum einen Monat später hatte man die Drahtzieher des An schlags gefasst. Vielleicht war man enttäuscht, als man nun feststellte, was diese Attentäter in Wahrheit für Menschen waren, nämlich einfache Leute, kleine Geschäftsinhaber, Automechaniker, Schmiede, Bauern. Außer sonntags und wenn sie schliefen, trugen die Verschwörer stets ihren blauen Bauern schurz, der das Tiroler Arbeitsethos symbolisierte. Ihre Hände waren schwielig und rau vom Umgang mit Holz, Erde oder Motoröl. Ihre Frauen hatten sie beim Tanz auf dem Kirschta gefreit und rasch geheiratet, sodass sie jetzt vielköpfige Familien besaßen. Viele von ihnen oder auch ihre Väter waren zur Zeit der »Option« als »Dableiber« verfolgt worden, weil sie weder ihren Grund und Boden verlassen noch zu Italienern werden wollten. Der eine oder andere war auch in Dachau gewesen, weil er sich der Rekrutierung durch die SS zu entziehen versuchte. Wenig oder gar nichts im Sinn hatten sie mit dem Kommunismus, der ihnen fremd blieb in ihrer bäuerlichen, katholischen Welt. Denn es waren alles gläubige, manche sogar ausgesprochen fromme Leute, die gelobt hatten, keine Menschenleben in Gefahr zu bringen. Als der Straßenarbeiter Giovanni Postal durch einen Sprengsatz zerrissen wurde, der wegen einer defekten Zündschnur zum falschen Zeitpunkt explodierte, weinten viele von ihnen in ihren Häusern: Der Tod eines Unschuldigen war das Schlimmste, was ihnen persönlich, mehr noch als ihrer Sache, passieren konnte.
Über Jahre schon hatten sie sich regelmäßig getroffen und Pläne geschmiedet, aber nicht im Untergrund oder im Schutz ausländischer Konsulate, wie italienische Journalisten ihnen unterstellten, sondern in den holzverkleideten Stuben ihrer Höfe oder in Wirtshäusern. Und seit Jahren bereits hatten sie Sprengstoffe gehortet, die sie über den Brenner oder die alten Schmugglerpfade herbeischafften und auf Heuböden, unter dem Stallmist oder in ihren Werkstätten versteckt hielten. Zur Einübung nahmen sie sich kleinere, symbolische Objekte vor: Die Reiterstatue des Duce vor dem Wasserwerk von Ponte Gardena zum Beispiel, die auch sechzehn Jahre nach Mussolinis Tod noch nicht gestürzt worden war.
Bei der Planung der »Feuernacht« verabredeten sie, dass jeder von ihnen passende Objekte in der Umgebung, die er am besten kannte, also in der Nähe seines Hauses, aussuchen sollte. Und als sie dann den Sprengstoff an den Masten anbrachten, achteten sie nicht nur darauf, dass, wenn sie kippten, kein Mensch zu Schaden kam, sondern dass auch der Obsthain des Nachbarn nicht beschädigt wurde. Diese Männer wussten, was
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