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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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ausgereiften Körper, den vollen Brüsten, selbst den Ohren einer erwachsenen Frau?
    In einem engen grünen Mantel, der ein wenig abgetragen und zu kurz wirkte – sie hatte das Stück von ihrer verheirateten Schwester vermacht bekommen, die viel kleiner war als sie –, lief Gerda die Straße entlang. Darunter schauten ihre schlanken Bei ne hervor, ihre Füße in den flachen, bequemen Schuhen eines hart arbeitenden Mädchens, die schmalen Fesseln, die sich beim Ge hen nur ganz leicht und schaukelnd bewegten. Das Begehren stieg mit solcher Macht in Hannes’ Leisten auf, dass er mit voller Kraft aufs Bremspedal trat und der Wagen quietschend stehen blieb.
    »He, was ist denn los!?«, rief das dunkelhaarige Mädchen an seiner Seite, das sich den Kopf am Armaturenbrett gestoßen hatte.
    Er blickte sie an, plötzlich überrascht, sie neben sich zu sehen auf dem karmesinfarbenen Ledersitz in seinem Sportwagen. Es war ein hübsches Mädchen, und das unter dem Kinn zusammengebundene Kopftuch brachte ihr klares Profil und ihre glatte Haut vorteilhaft zur Geltung. Mit ihren feingliedrigen Fingern rieb sie sich die angestoßene Stirn, während sich ihre jungen Brüste unter der Lederjacke hoben und senkten. Doch es interessierte Hannes nicht mehr. Seit er Gerda die Straße hatte entlanglaufen sehen, interessierte ihn von der anderen nicht einmal mehr der Name.
    Wer war das bloß?
    Seit einem Jahr war Gerda eine »Matratze«.
    »Matratzen« waren Mädchen, die nicht geliebt wurden, die verwaist waren, unehelich, allein. Gerda war weder Waise noch un ehelich. Sie war eine »Matratze«, weil ihr Vater Hermann sie hatte ziehen lassen.
    Die »Matratzen« standen ganz unten in der Küchenhierarchie, zusammen mit den Küchenjungen, waren aber noch weniger wert, weil jene, selbst betrunken und arm, immerhin noch männlich waren. Sie, die »Matratzen«, waren hingegen Frauen. Und auch wenn sie Hilfsköchinnen oder sogar, was höchst selten vorkam, Köchinnen wurden, blieben sie doch »Matratzen«, denn eine Frau in der Küche war bekanntermaßen nur dann eine anständige Frau, wenn es sich um die Küche ihres Zuhauses handelte. Die Küchen, in denen sich die »Matratzen« abrackerten, waren aber die der großen Hotels, riesige Räume voller Rauch und Dampf, die nichts gemein hatten mit einem heimischen Herd, mit einer gemütlichen, behüteten Atmosphäre, wo die Kinder über ihren Hausaufgaben saßen und die Hausfrau Kleider stopfte, während die Suppe auf dem Herd vor sich hin köchelte. Die Küchen, in denen die »Matratzen« kochten, waren von Lärm und Hitze erfüllte Höhlen, in denen man schrie, fluchte und schwitzte, durchtränkt von beißenden Gerüchen und klebrigen Dämpfen, sodass Abstumpfung die einzige Möglichkeit war, den Aufenthalt durchzustehen.
    Alle nannten sie »Matratzen«: die Küchenjungen, die Kö che, die Chefköche, die in der Küche das Sagen hatten, und sogar, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand, die Hoteldirektoren. Wie ihr Name schon sage, seien sie nur für eines zu gebrauchen, hieß es – mit dem Unterschied, dass man auf ihren Namensvettern auch noch schlafen könne.
    Theoretisch fiel Gerda also in diese Rubrik. Doch niemand hätte es über sich gebracht, ihr vulgäre Ausdrücke an den Kopf zu werfen, nicht einmal der besoffenste Küchenjunge. Sie hatte lange Beine, feste, runde Brüste und vor allem herrliche Augen, die sie niemals niederschlug. Das Begehren, das ihr Anblick auslöste, war zu stark. Die Männer hätten sich bis ins Innerste ertappt gefühlt, wenn sie ihr mit den gleichen derben Anspielun gen wie den anderen Mädchen gekommen wären. Auch mit denen würden sie gern schlafen; tatsächlich aber fanden die Köche und vor allem diese armen Teufel von Küchenjungen, denen sogar das Geld für die Nutten an der Provinzstraße fehlte, selten, sehr selten, fast nie Gelegenheit dazu. Aber mit Gerda hätten sie es gern richtig gemacht. Bei ihr wollten sie die Zunge durch die Vertiefung zwischen ihren Brüsten gleiten lassen, mit den Fingern an Körperstellen eindringen, die man sich gar nicht vorstellen durfte, denn sonst lief man Gefahr, sich die Fingerkuppe abzusäbeln, weil die Hand das Fleischmesser nicht mehr richtig halten konnte und das Blut aus dem Kopf in untere Körperregionen strömte. Bei ihr wollten sie – und das hätten sie den anderen Männern in der Küche wirklich niemals gestehen können – das Lächeln sehen, das im Moment größter Lust über ihr Gesicht glitt. Nein,

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