Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
repräsentieren; sondern auch seine Gegner, die trägen Politiker in Rom, ja, selbst jene bornierten, kleingeistigen Beamten in den Behörden, die ihre Macht ausnutzten und seine Landsleute schikanierten. Seine Pflicht sah er darin, den politischen Kampf von physischer Zerstörung zu trennen, selbst wenn es nur um Hochspannungsmasten ging.
Er hatte die Zettel sorgfältig zusammengefaltet in einen Umschlag gesteckt und an einem Ort deponiert, der nur ihm bekannt war. Später erfuhr die Öffentlichkeit zwar von den Folterungen im Bozener Gefängnis, aber es war nicht Silvius Magnago, der sie bekannt gemacht hatte.
In den zwei Jahren, die seither vergangen waren, waren zwei Männer des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) durch Misshandlungen in der Haft oder später an deren Folgen gestorben. Andere hatten bleibende Schäden davongetragen. Die Folter prägte ihren Körpern das untilgbare Zeichen des Leidens ein, so wie es der Krieg mit dem Gebirgsjägerleutnant Magnago getan hatte. Es gab zwar einen Prozess gegen die Carabinieri, die für die Misshandlungen verantwortlich waren, doch in dessen Verlauf behaupteten deren Verteidiger, die Häftlinge hätten sich die Verletzungen selbst zugefügt (obwohl sie von Dutzenden ärztlicher Gutachten, die den Prozessakten beilagen, dokumentiert wurden), und zwar mit dem alleinigen Ziel, Italien in Misskredit zu bringen. Das Gericht schloss sich dieser Auffassung an: Alle Angeklagten wurden freigesprochen. Unter dem Jubel ihrer Angehörigen verließen sie nach der Urteilsverkündigung den Gerichtssaal als freie Männer. Zusätzlich erhielten sie eine offizielle Belobigung ihres Vorgesetzten, des Carabinierigenerals De Lorenzo. Ihre Opfer aber, die Häftlinge, die sie zu gebrochenen Gestalten erniedrigt und entwürdigt hatten, wurden mit Handschellen in die Haftanstalt zurückgebracht.
Silvius Magnago äußerte sich nie dazu, wie viel ihm die Entscheidung abverlangt hatte, nicht auf den verzweifelten Hilferuf der Häftlinge zu reagieren. Er verriet auch nicht, ob deren Martyrium seinen ohnehin schon knappen Nachtschlaf um neue Albträume bereichert hatte.
Der Leib. Sich für die Unversehrtheit des Leibes einzusetzen. Bei diesen Männern war es ihm nicht möglich gewesen.
Im Herbst 1963 lächelte ein weiß gekleidetes junges Mädchen mit einem Blumenstrauß im Arm von den Plakaten herunter, mit denen die Mailänder Straßen gepflastert waren. Ein Art Gerda im mediterranen Stil: mit vollen Brüsten, weichen Lippen, hohen Wangenknochen, aber schwarzen Haaren und dunklem Teint. Auf diese Weise gedachte die Democrazia Cristiana sich ein neues, jüngeres Image zuzulegen, eine Aufgabe, mit der die christdemokratische Partei den Amerikaner Ernest Dichter betraut hatte, den Vater der Motivforschung hinsichtlich des Kaufverhaltens, der auch eine berühmt gewordene Werbekampagne für kalifornische Trockenpflaumen kreierte. Von ihm stammte der Slogan, der unter dem schönen Mädchen prangte:
DIE CHRISTDEMOKRATISCHE PARTEI IST AUCH ZWANZIG
GEWORDEN!
Zwischen Domodossola und Syrakus, zwischen Udine und Bari ergänzten überall auf der italienischen Halbinsel unbekannte Hände mit Pinsel und Farbe den Slogan:
… UND ES IST ZEIT, SIE FLACHZULEGEN!
Das war von Mr. Dichter so nicht geplant gewesen.
Die Anregung, mit der Christdemokratischen Partei das zu tun, was jeder Mann in Italien gern mit deren Altersgenossinnen aus Fleisch und Blut angestellt hätte, wurde von vielen beherzigt: Bei den Parlamentswahlen 1963 erhielt die Kommunistische Partei zum ersten Mal in ihrer Geschichte mehr als ein Viertel der Stimmen. Die Alleinherrschaft der DC war gebrochen.
Unter der Führung Aldo Moros konstituierte sich die erste Mitte-links-Regierung der Republik Italien. Einige Tage nach der Stimmenauszählung wurde der Sitz der Christdemokraten an der Piazza del Gesù mit einer großen Kiste Trockenpflaumen beliefert.
Dort lachte niemand. Das politische Gleichgewicht, wie es sich nach der Konferenz von Jalta etabliert hatte, war durch den Wahlausgang ins Wanken geraten. Die Geheimdienste beiderseits des Atlantiks waren sich einig, dass nun neue Saiten aufgezogen werden mussten. Damit gewann Gladio neue Bedeutung, jene paramilitärische Geheimorganisation, welche die CIA schon in den fünfziger Jahren in Italien aufgebaut hatte, um den Vormarsch der Linken zu stoppen. Nun wurde der sogenannte Piano Solo , der Plan einer Alleinregierung, entwickelt, der drei Ziele verfolgte: erstens einen
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