Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
Bauch immer häufiger gegen die Arbeitsplatte stieß, keine Ausnahme. Zudem gab es tüchtige Hilfsköchinnen, denen man nicht ständig alles erklären musste, keineswegs wie Sand am Meer. Auch das war zu bedenken. Die Bedingungen waren allerdings ebenfalls klar: Von diesem Baby durfte man nichts sehen und nichts hören. Und dass es unmöglich die Gäste im Speisesaal stören durfte, musste gar nicht erst erwähnt werden. So undenkbar war das.
Am Tag ihrer Rückkehr nach Meran suchte sich Gerda als Erstes in der Speisekammer eine Apfelkiste aus festem Holz und ohne spitze Stellen, legte sie mit Kissen und Handtüchern aus, stellte sie in eine Ecke, wo sie nicht im Weg war, und bettete Eva hinein. Dann nahm sie ihre Arbeit an der Seite von Herrn Neumann wieder auf, als wäre sie niemals fort gewesen.
Noch nicht einmal jetzt, da ausgerechnet Gerda jenes für eine »Matratze« typische Missgeschick widerfahren war, nämlich ein Kind zu bekommen, ohne geheiratet zu werden, ließ jemand, weder die Küchenjungen noch die Hilfsköche, Köche oder Kellner, es ihr gegenüber an Respekt fehlen. Vielleicht lag das auch an dem Baby in der Holzkiste in einer Küchenecke: Evas Gegenwart verlagerte die Aufmerksamkeit von dem üblichen Verhalten einer »Matratze « , das Gegenstand ordinärer Witze war, auf das, wozu dieses Verhalten führen konnte: zu einem rosigen, unwiderstehlich süßen, pausbäckigen Baby. Noch nicht einmal, wenn sich Gerda, was mehrmals täglich geschah, die Schürze aufband und sie, ohne sie abzunehmen, zur Seite schob und sich die Bluse öffnete, um Eva die Brust zu geben, hörte man einen Kommentar. Natürlich schauten alle hin: die Kellner, die an der Durchreiche auftauchten und »Spinatspatzlan, neu« riefen, die Köche, die brieten, rührten, kosteten, und Elmar, der Tellerreste in die Mülltonne kippte. Diese weiße, blau geäderte Rundung mit der braunen, glänzenden Warze, die in dem kleinen Mund verschwand und wieder daraus auftauchte, zog alle Blicke in der Küche auf sich. Während in der plötzlichen Stille nur das kräftige Saugen und Schmatzen des trinkenden Kindes zu vernehmen war, starrten alle andächtig auf diesen Teil von Ger das Körper, der immer schon sehnsüchtige Fantasien geweckt hat te, sie nun aber, während er seiner eigentlichen Funktion nachkam, verstummen ließ.
Es gab aber auch aufreibende Stunden. Dann trat die Last der Arbeit in der Hektik alltäglicher Verrichtungen wieder deutlich hervor, ähnlich wie der bittere Geschmack von Radicchio, der sich, nachdem er sich eine Weile unter den anderen Zutaten des Salats versteckt hat, unversehens auf der Zunge voll entfaltet.
Bevor sie einschlief in ihrem Bett im Schlafsaal unter dem Dach, den sie mit den anderen weiblichen Angestellten teilte, gab Gerda der Kleinen noch einmal die Brust. Fielen ihr dann die Augen zu, war Eva in die Armbeuge der Mutter gekuschelt, beide eingehüllt in den Geruch von Milch und Windeln. In der Nacht nach ihrem ersten Arbeitstag war Eva schon nach wenigen Stunden wieder aufgewacht und hatte nach der Brust zu suchen begonnen. Noch halb im Schlaf schaffte es Gerda nicht sofort, ihr Nachthemd aufzuknöpfen. Zunächst war es nur ein keuchendes Wimmern, das Eva von sich gab, dann ein Weinen, das immer lauter wurde. Von den Betten der Kolleginnen drangen Unmutsbekundungen zu ihnen herüber, Schnauben, halb Flüche, die erst verstummten, als Eva eine Brustwarze fand und sich beruhigte.
In der nächsten Nacht war Gerda, um allen Protesten zuvorzukommen, sofort zur Stelle, als Eva nach Milch verlangte, doch jetzt begann Eva nach dem Stillen zu weinen. Gerda nahm sie hoch, stand auf und trug sie hin und her durch den Schlafsaal, wobei sie der Kleinen mit der Handfläche sanft auf den Rücken klopfte, wie es ihr die Hebamme »Stern der Güte« beigebracht hatte. Wieder forderten schlaftrunkene Stimmen sie auf, endlich Ruhe zu geben. Aber erst nachdem ein kräftiges, nach geronnener Milch riechendes Bäuerchen Evas Weinen beendete, konnte sich Gerda wieder hinlegen.
Einige Nächte ging das so, und das immer in den düsteren Stunden vor dem Morgengrauen, in denen man, falls man aufgeweckt wird, die Gedanken niederkämpfen muss, um wieder in den Schlaf zu finden, was nicht immer gelingt. Nach einer Woche nahmen die Zimmerkameradinnen Gerda zur Seite und machten ihr nicht unfreundlich, aber unmissverständlich klar: Wollte sie weiter mit ihrer Tochter in der Gemeinschaftsunterkunft übernachten, durfte der Schlaf
Weitere Kostenlose Bücher